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Kommentar

"Kingsize" – eine neue Facette der Frau im deutschen Rap

Das Bild der Frau im Rap ist geprägt von Miso­gy­nie und Sexis­mus – Begeh­ren und Roman­tik gegen­über Frau­en sind unter­re­prä­sen­tiert und wer­den haupt­säch­lich von der quee­ren Rap­ge­mein­schaft the­ma­ti­siert. Ist es nicht end­lich an der Zeit, dass männ­li­che Rap­per ein Gegen­pro­gramm liefern?

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ist die des:der Autor:in und ent­spricht nicht zwangs­läu­fig der der gesam­ten Redak­ti­on – den­noch möch­ten wir auch Ein­zel­stim­men Raum geben.

Im Fol­gen­den setzt sich unse­re Redak­teu­rin Lena mit der Dar­stel­lung der Frau in der deut­schen Rap­sze­ne aus­ein­an­der und zeigt am Track "King­si­ze" von Don­na Sava­ge auf, wel­che Facet­ten des Frau­en­bilds ihr dort immer noch fehlen.

 

"Bestell' uns Uber XL, obwohl wir nur zu zweit sind. Rück­bank unser Pre­game, Taxi­fah­rer nei­disch. Ein dum­mes Kom­men­tar und dann kriegt er von uns bei­den – wür­de mal sagen, dass die Fahrt heu­te frei ist", rappt Don­na Sava­ge auf ihrem Song "King­si­ze", in dem es um das Begeh­ren einer ande­ren Frau geht.

Ich habe damit das ers­te Mal einen rich­tig der­ben HipHop-​Track zu hören bekom­men, in dem es um die Anzie­hung zu einer Frau geht. Zumin­dest ohne Män­ner, die Frau­en auf ernied­ri­gends­te Art sexua­li­sie­ren, und ohne Gefahr zu lau­fen, in einen Kitsch­film zu schlit­tern. Don­na nimmt sich, was ihr gefällt. Und dafür muss sie die Frau, auf die sie steht, nicht miso­gyn belei­di­gen oder sie nur zu einem Acces­soire an ihrer Sei­te degra­die­ren – wie es in der Rap­sze­ne immer noch zu oft der Fall ist. Nichts gegen Shin­dy, aber Lines wie: "Mei­ne Bitch ist wie mein Tep­pich, Dicker – flach­ge­legt und per­sisch", sind eben nicht nur miso­gyn, son­dern auch genau­so abge­dro­schen und einfallslos.

Obwohl weib­li­che Artists aus der deut­schen Rap­sze­ne nicht mehr weg­zu­den­ken sind, wird das Rap­pen über Frau­en haupt­säch­lich von Män­nern über­nom­men. Lie­be, Roman­tik und Begeh­ren gegen­über Frau­en fin­de ich nur in kitschig-​poplastigen Autotune-​Tracks oder in Form des Madonna-​Hure-​Komplexes. Lady Bitch Ray the­ma­ti­siert die­sen Kom­plex in ihrem Buch "Yal­la, Femi­nis­mus!" als "Heilige-​Hure-​Dichotomie". Er defi­niert sich laut Ray durch "die Ein­tei­lung von Frau­en in gut und böse". Sie führt wei­ter aus: "[Die­se Dicho­to­mie] ist wie in vie­len gesell­schaft­li­chen Berei­chen auch im Deutschrap prä­sent. Das kann ver­schie­de­ne For­men anneh­men." So wie bei­spiels­wei­se in "Klug" von Kara­te Andi, wo er in Lines wie "Und die Hoe sagt, es ist okay, wenn ich sie wür­ge. Doch in mei­ner Wunsch­vor­stel­lung trägt sie eine Schür­ze" die eine Hei­li­ge unter den Huren sucht.

"King­si­ze" han­delt aller­dings von einer Frau, die über eine ande­re Frau rappt. Obwohl es sich im wei­tes­ten Sin­ne um einen Coming-​out-​Track han­delt, wür­de ich die­sen Track nicht als dezi­diert que­er ver­or­ten. So wie ich Don­na auf einem ihrer Kon­zert ver­stan­den habe, hat­te ihre Sexua­li­tät in ihrer Musik bis dato nichts ver­lo­ren. Der Track war eine Ant­wort dar­auf, dass Hörer:innen mög­li­cher­wei­se den­ken könn­ten, dass sie in ihren Lie­bes­lie­dern wie "Crush" über Män­ner rap­pe – dem woll­te sie mit "King­si­ze" ent­ge­gen­wir­ken. Des­halb betrach­te ich die­sen Track nicht nur als ein Coming-​out, son­dern vor allem als eine neue Art, über Frau­en zu rap­pen – ganz ohne que­e­re Aspek­te. Ist es wich­tig, ob die Per­son, die über Frau­en rappt, hete­ro­se­xu­ell, bise­xu­ell oder homo­se­xu­ell ist? Ich fin­de nicht. Ich wün­sche mir, dass Anzie­hung zu Frau­en und die damit ein­her­ge­hen­de Sen­si­bi­li­tät oder Ver­letz­lich­keit in der deut­schen Rap­sze­ne nicht miso­gyn the­ma­ti­siert wird. Wie das pas­siert und von wem das ein­ge­lei­tet wird, ist mir dabei egal. Es wird Zeit, dass Rap­per auf­hö­ren zu den­ken, dass sie ekel­haft über ihre Attrak­ti­on zu Frau­en rap­pen müs­sen, um ihr kras­ses Rapper-​Image nicht zu gefähr­den. Auch Don­na sexua­li­siert in ihrem Track die Frau, über die sie rappt, und trotz­dem tut sie das nicht auf eine miso­gy­ne Art und Wei­se. Was ist falsch dar­an, den Hin­tern einer Frau toll zu fin­den? Nichts, so lang sie nicht auf­grund ihres Hin­terns direkt als "Nut­te" dekla­riert wird.

Bis zur Jahr­tau­send­wen­de war es eben nicht so, dass miso­gy­ner Sexis­mus ein fes­ter Bestand­teil in der deut­schen Rap­sze­ne war. Mit dem 2001 gegrün­de­ten Label Aggro Ber­lin, durch das Künst­ler wie Sido, Bushi­do und Fler in den Main­stream gelang­ten, wur­den sexis­ti­sche Begrif­fe fes­te Ele­men­te des Voka­bu­lars. In den 90ern nahm Cora E. mit Songs wie "… und der MC ist weib­lich" Frau­en selbst in die Ver­ant­wor­tung und mach­te dar­auf auf­merk­sam, dass die­se selbst rap­pen sollten.

Doch ab den 2000er Jah­ren wird es immer schwie­ri­ger für Künst­le­rin­nen, sich im Rap zu bewei­sen, ohne sich der vul­gä­ren Spra­che zu bedie­nen. Die Tex­te von Rap­pe­rin­nen fokus­sie­ren sich immer mehr auf den Schlag­ab­tausch mit ihren männ­li­chen Kol­le­gen. Kit­ty Kat, der ein­zi­ge weib­li­che MC von Aggro Ber­lin, ist zwar eine Frau, bleibt aber mit ihren Tex­ten ihrer Sozia­li­sa­ti­on im Gangs­ter­rap treu. Anders macht es Lady Bitch Ray, die sich die anzüg­li­che Spra­che in Songs wie "Deut­sche Schwän­ze" aneig­net. Gleich­zei­tig erhebt sie sich aber aus der pas­si­ven Rol­le, die Frau­en im Rap zuge­teilt wird. Im Vor­der­grund ist und bleibt die Frau, die rappt, und nicht, wie über Frau­en gerappt wird.

Spä­tes­tens seit die­sem Jahr­zehnt haben wir ein weib­li­ches Gegen­pro­gramm, das sich sehen lässt. Euni­que unter­streicht in ihren Songs die ver­schie­dens­ten Facet­ten der Weib­lich­keit. Shirin Davids gesam­te Kar­rie­re beruht dar­auf, mit Män­nern und nega­ti­ven Bil­dern der rap­pen­den Frau abzu­rech­nen. Auch im Unter­grund­rap zeigt bei­spiels­wei­se Press­luft­han­na der Welt, dass Frau­en alles kön­nen, was Män­ner kön­nen, mit Lines wie: "Out­lines weiß, Fill-​in schwarz. Es riecht zwar nach Lack. Aber kei­ne hier war's. Sind nur ein paar Wei­ber, mit Frucht­sekt im Glas."

Deut­sche Rap­pe­rin­nen prä­sen­tie­ren ihre Sexua­li­tät, ähn­lich wie ihre ame­ri­ka­ni­schen Kol­le­gin­nen, auf eine pro­vo­kan­te Wei­se. Shirin David spielt mit por­no­gra­fi­scher Ästhe­tik in ihren Tex­ten und Vide­os, um pro­vo­kan­te und kon­tro­ver­se Inhal­te zu schaf­fen. Dabei setzt sie Intel­li­genz und Humor ein, um die The­men kri­tisch und unter­halt­sam zu behan­deln. Aber was ist mit der roman­ti­schen, sen­si­blen Frau? Was ist mit Begeh­ren? Die star­ke Frau steht in vie­len Songs mitt­ler­wei­le im Vor­der­grund, nicht aber die gefühl­vol­le. Die ein­zi­ge Künst­le­rin, die es mei­ner Mei­nung nach schafft, in einer toug­hen und doch sen­si­blen Art über ihr sexu­el­les Begeh­ren zu rap­pen, ist Lay­la. Mit einer Mischung aus gefühl­vol­lem R 'n' B-​Gesang und Rap beschreibt sie in Songs wie "24/​7" und "So smooth" die weib­li­che Lust und stellt den weib­li­chen Kör­per in den Vor­der­grund. Sie zeigt sich sen­si­bel, emo­tio­nal und bricht mit dem Bild der Frau, die hart sein muss, um stark zu sein.

Im Gegen­satz zu Lay­la bedient sich Don­na nicht des gefühl­vol­len R 'n' B, um ihr Begeh­ren zu unter­strei­chen, son­dern bleibt für "King­si­ze" ganz klar beim der­ben HipHop-​Sound. Sie rappt nicht nur über ihre eige­ne Anzie­hung, son­dern macht eine Frau zur Prot­ago­nis­tin ihres Songs. Wäh­rend Lay­la es schafft, mit ihrer Musik das Bild der roug­hen Rap­pe­rin, die sich in einer män­ner­do­mi­nier­ten Sze­ne durch­schlägt, auf­zu­bre­chen, geht Don­na einen Schritt wei­ter: Sie ändert das Bild der Frau, über die gerappt wird. Für die Zukunft wün­sche ich mir mehr Rap über die Lust an Frau­en, ohne soft zu sein oder sie als blo­ße Objek­te dar­zu­stel­len. In dem Song "King­si­ze" kommt alles, was ich mir 2024 im deut­schen Rap wün­sche, zusam­men. Ein der­ber HipHop-​Track – ohne Kitsch-​Ausflüge. Der Song zeigt allen, wie Rap­pen über Frau­en ohne pop­pi­gen Schnick­schnack funk­tio­niert und ohne dabei auf R 'n' B-​Elemente zurück­zu­grei­fen. Damit hat er mei­ner Mei­nung nach eine wich­ti­ge Facet­te zum bestehen­den deut­schen Rap hin­zu­ge­fügt. Kann so das Bild der Frau in der Rap­sze­ne künf­tig auf ein ande­res Level gebracht wer­den? Mit "Ich hör' die Sire­nen und wir küs­sen uns im Blau­licht. Hätt' nicht ahnen kön­nen, dass man so 'n Girl im Rausch trifft. Bei der das Make-​up genau­so wie die Faust sitzt" zeigt sie, dass eine star­ke Frau die lustvoll-​emotionale Sei­te ihres Lebens nicht aus­schließt. Aber war­um kön­nen nur Frau­en so über Frau­en rap­pen? Ich wün­sche mir end­lich auch von Män­nern ein Gegen­pro­gramm. Wir haben 2024 und das Bild der Frau im Rap auf­zu­bre­chen, soll­te nicht mehr nur bei Frau­en und Que­ers liegen.

(Lena Pin­to)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)