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Reportage

Bridging the Gap – über HipHop und bildende Kunst

Die HipHop-​Kultur und die Welt der bil­den­den Kunst tref­fen immer wie­der auf­ein­an­der. Dabei gehen sie eine Sym­bio­se ein und schaf­fen bedeut­sa­me Wer­ke. Über den Weg von den Stra­ßen der Bronx in die renom­mier­tes­ten Gale­rien der Welt.

Der Gra­ben zwi­schen der HipHop-​Kultur und der Welt der bil­den­den Küns­te scheint auf den ers­ten Blick unüber­wind­bar. Bil­den­de Kunst hat eine lan­ge und viel­fäl­ti­ge Geschich­te, die sich über die letz­ten Jahr­tau­sen­de duch jede Kul­tur zieht. Hip­Hop hin­ge­gen ent­stand in den 70ern in New York City und wird als Gegen­kul­tur zum vor­herr­schen­den Main­stream von afro­ame­ri­ka­ni­schen Jugend­li­chen geschaf­fen. Auch die visu­el­le Ästhe­tik ist von Grund auf unter­schied­lich. Der Begriff der bil­den­den Kunst lässt augen­blick­lich Bil­der von Marmor-​getäfelten Gale­rien vor dem geis­ti­gen Auge erschei­nen. Die Ästhe­tik der HipHop-​Kultur wie­der­um ist roh und hat fast etwas Stö­ren­des. Viel­leicht besteht auch des­halb in den Augen der Öffent­lich­keit ein gro­ßer Unter­schied. Wäh­rend eini­ge Maler:innen durch weni­ge Pin­sel­stri­che zu Genies hoch­sti­li­siert wer­den, wer­den Graffiti-Sprüher:innen oft als unge­bil­det dar­ge­stellt und als Sachbeschädiger:innen strafverfolgt.

Trotz­dem tref­fen sich Hip­Hop und die Welt der bil­den­den Küns­te eini­ge Male in der Geschich­te und zei­gen mehr Ver­knüp­fun­gen, als man es auf den ers­ten Blick glau­ben mag. Wie also haben die­se bei­den Wel­ten zuein­an­der­ge­fun­den? Wer hat sie zusam­men­ge­bracht? Und was haben die alten Römer, ein Ele­fant und Kanye Wests Plat­ten­co­ver damit zu tun?

 

Die alten Römer, CORNBREAD und Taki 183: Pio­nie­re des Writings

Der Begriff "Graf­fi­ti" hat sei­nen Ursprung im Latei­ni­schen "Graf­fi­to". Dies waren zur Zeit des Römi­schen Reichs Nach­rich­ten, wel­che in Gebäu­de­fas­sa­den ein­ge­ritzt wur­den. Von poli­ti­schen Bot­schaf­ten bis hin zu Waren­lis­ten dien­ten die alter­tüm­li­chen Graf­fi­tis haupt­säch­lich zur Kom­mu­ni­ka­ti­on und zum Aus­tausch. Dar­über hin­aus wur­den auch unter­schied­li­che Zeich­nun­gen und Male­rei­en an den Wän­den hin­ter­las­sen. Die­se Inschrif­ten und Illus­tra­tio­nen unter­schie­den sich von klas­si­schen Wand­ma­le­rei­en dar­in, dass sie von Pri­vat­per­so­nen an öffent­li­chen Plät­zen hin­ter­las­sen wurden.

Das Wri­ting soll aller­dings erst in den 1960er Jah­ren in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten ent­ste­hen. So beginnt ein jun­ger Mann namens Dar­ryl McCray damit, sein Pseud­onym "CORNBREAD" an alle mög­li­chen und unmög­li­chen Plät­ze in Phil­adel­phia zu sprü­hen – angeb­lich tut er dies, um die Auf­merk­sam­keit eines Mäd­chens zu erre­gen. Statt­des­sen wird dar­über gerät­selt, wel­cher Unbe­kann­te für die Graf­fi­tis ver­ant­wort­lich ist. Auch die ört­li­che Pres­se wird auf den Fall auf­merk­sam und berich­tet über neu­er­lich auf­ge­tauch­te Tags. Im Jahr 1971 ver­öf­fent­licht eine ört­li­che Zei­tung dann sogar einen Arti­kel, in dem behaup­tet wird, CORNBREAD wäre wäh­rend einer Gang-​Schießerei zu Tode gekom­men. Als McCray – der gesund und mun­ter zu Hau­se sitzt – das liest, fasst er einen Plan. Dazu sagt er selbst: "I knew I had to do some­thing ama­zin­gly bizar­re to let peo­p­le know I wasn't dead." So bricht er schließ­lich in das Ele­fan­ten­ge­he­ge des ört­li­chen Zoos ein und sprüht in gro­ßen Buch­sta­ben "CORNBREAD LIVES" auf die Flan­ke eines Ele­fan­ten. Wegen die­ser skur­ri­len Akti­on wird Dar­ryl McCray zwar ver­haf­tet, aber auch über­re­gio­nal bekannt.

In etwa zeit­gleich mit McCray beginnt auch ein jun­ger Paket­bo­te in New York City sein Pseud­onym "Taki 183" – ein Spitz­na­me, wel­chen er seit sei­ner Kind­heit trägt, kom­bi­niert mit der Post­leit­zahl sei­nes Wohn­orts – an die Häu­ser­wän­de sei­ner Boten­rou­te zu schrei­ben und so sein Revier zu mar­kie­ren. Auch er will Auf­merk­sam­keit mit sei­nen Wer­ken erre­gen. Ähn­lich wie bei CORNBREAD ent­steht mit dem Mys­te­ri­um um die Per­son hin­ter den Krit­ze­lei­en ein gewis­ses Medi­en­in­ter­es­se. Schließ­lich berich­tet die New York Times im Jahr 1971 über den damals 17-​jährigen Taki und sei­ne Kunst, wor­auf­hin immer mehr Men­schen in New York – beson­ders in den Armen­vier­teln – begin­nen, ihre Namen gefolgt von einer Zahl an Häu­ser­fas­sa­den zu schrei­ben. Durch die plötz­lich auf­kom­men­de Kon­kur­renz ver­su­chen die ers­ten Writer:innen, wel­che durch CORNBREAD und Taki 183 inspi­riert sind, ein­an­der immer wei­ter zu über­tref­fen und ihre Wer­ke auf­fäl­li­ger und auf­wen­di­ger zu gestal­ten. Sowohl CORNBREAD als auch Taki 183 kön­nen ihren Namen in den gesam­ten Ver­ei­nig­ten Staa­ten also als zwei völ­li­ge Nobo­dys bekannt machen, indem sie ihn ein­fach an Wän­de schrei­ben. Damit sind die bei­den Vor­bil­der für unzäh­li­ge Writer:innen, wel­che noch fol­gen sollen.

Als sich dann im Jahr 1973 die HipHop-​Kultur in den Ghet­tos von New York bil­det, ist es nahe­lie­gend, dass Graf­fi­ti ein Teil eben­die­ser wird. Die vier Säu­len von Hip­Hop – Brea­king, MCing, Wri­ting und DJing – wer­den im sel­ben Umfeld aus­ge­übt oder ent­ste­hen sogar dort. Wri­ting ermög­licht es den meist unter pre­kä­ren Umstän­den auf­wach­sen­den Jugend­li­chen, wenigs­tens Ruhm und Aner­ken­nung auf der Stra­ße zu gewin­nen. Auch war es immer schon ein Aus­druck des Wun­sches, trotz feh­len­der Mög­lich­kei­ten sein Umfeld mit­zu­ge­stal­ten. Aller­dings wird Graf­fi­ti von staat­li­cher Sei­te als rei­ne Sach­be­schä­di­gung ange­se­hen, was das Anse­hen der Writer:innen in der brei­ten Mas­se schmälert.

 

Der Weg­be­rei­ter von Hip­Hop in der Kunstwelt

Die­ses Schmuddel-​Image soll aller­dings bereits gegen Ende der 70er Jah­re erst­mals auf­bre­chen. Dafür ist ins­be­son­de­re Fre­de­rick Brat­hwai­te ver­ant­wort­lich. Die­ser wur­de am 31. August 1959 in New York gebo­ren. Fre­de­rick war in sei­ner Jugend an Musik, Film und vor allem Kunst inter­es­siert. So mal­te er bereits im frü­hen Teen­ager­al­ter ers­te Wer­ke auf Lein­wand und Papier und heg­te eine gro­ße Lei­den­schaft für zeit­ge­nös­si­sche Kunst. Im Jahr 1978 lernt er die Graffiti-​Legende Lee Qui­ño­nes ali­as LEE ken­nen und schließt sich des­sen Crew "The Fabu­lous 5ive" an. In der Crew erhält er auch sei­nen Spitz­na­men Fab 5 Fred­dy. Zwei Jah­re spä­ter malt er dann, gemein­sam mit LEE, sein viel­leicht bekann­tes­tes Pie­ce: ein Whole­car mit dem Titel "Campbell's Soup Car". Über einen gan­zen Zug­wag­gon hin­weg malt er in Anleh­nung an Andy War­hols "Campbells's Soup" Dosen. Die­se sind ein bekann­tes Motiv des Pop-​Art Pio­niers. Fred­dy und LEE ver­su­chen mit die­ser Refe­renz, die bei­den Kunst­for­men auf eine Stu­fe zu heben. "It was very approacha­ble, and con­nec­ting with what War­hol had done – the way he approa­ched popu­lar cul­tu­re, working in dif­fe­rent medi­ums as well – it just fit what I thought this move­ment could be and the con­nec­tions I saw could help bring it into the future", kom­men­tiert Fred­dy sei­ne Inspi­ra­ti­on in einem Inter­view mit ARTnews.

LEE und Fab 5 Fred­dy schaf­fen es im Jahr 1979 sogar, Graf­fi­ti als gerahm­te Kunst in der La Medusa-​Galerie in Rom aus­zu­stel­len. Das ist das ers­te Mal, dass Graf­fi­ti in Euro­pa aus­ge­stellt – oder über­haupt als bil­den­de Kunst gezeigt und ange­se­hen wird. Dadurch bekommt Wri­ting zum ers­ten Mal Auf­merk­sam­keit aus der Kunst­welt. Fab 5 Fred­dy sagt dazu: "I think it's time ever­yo­ne rea­li­zed graf­fi­ti is the purest form of New York art. What else has evol­ved from the streets? […] As you can see, we've obvious­ly been influen­ced by War­hol, Crumb, and Lich­ten­stein." Es fol­gen zahl­rei­che Aus­stel­lun­gen inner­halb von New York. Dar­über hin­aus arbei­tet er mit Afri­ka Bam­baa­ta – einem der Urvä­ter von Hip­Hop – zusam­men an Musik. 1981 wird Fred­dy dann durch die Zei­le "Fab 5 Fred­dy told me everybody's fly" auf dem Song "Rap­tu­re" von Blon­die – einem der ers­ten Nummer-​eins-​Rap-​Hits – end­gül­tig zu einer Berühmt­heit. Er gewinnt über die HipHop-​Szene hin­aus Anse­hen in der Pop- und Kunst­welt von New York und wird sogar regel­mä­ßi­ger Gast in diver­sen TV-Shows.

Im Jahr 1982 ist Fred­dy dann Ideen­ge­ber, Schau­spie­ler und musi­ka­li­scher Direk­tor für den Graffiti-​Film "Wild Style!", wel­cher ein inter­na­tio­na­ler Erfolgs­schla­ger wird. Im glei­chen Jahr beglei­tet der Künst­ler die Rocksteady-​Crew – bestehend aus Musiker:innen wie Afri­ka Bam­baat­aa, Sprüher:innen wie Pha­se 2 und diver­sen DJs – auf der "Roxy Tour", der ers­ten HipHop-​Welttournee. Somit ist Fab 5 Fred­dy maß­geb­lich an der inter­na­tio­na­len Ver­brei­tung von Graf­fi­ti betei­ligt. Im Jahr 1988 wird er schließ­lich zum Mode­ra­tor von "Yo! MTV Raps" und damit end­gül­tig welt­weit zu einer Gali­ons­fi­gur der HipHop-​Kultur. Dar­über hin­aus ist er als Bera­ter und Kura­tor für diver­se Künstler:innen tätig und ver­bin­det so die Wel­ten von Graf­fi­ti und der Kunst, die zuvor über­wie­gend von wohl­ha­ben­den Wei­ßen bestimmt wird.

Fab 5 Fred­dy on Rela­ti­onships with Jean Michel Bas­qui­at and Keith Haring (Part 2)

 

Eine Kar­rie­re vom Wri­ting zur Kunstelite

Eine wei­te­re Per­son, die schon früh die Ver­bin­dung zwi­schen bil­den­der Kunst und Hip­Hop knüpft, ist Jean-​Michel Bas­qui­at. Die­ser wur­de 1960 in Brook­lyn gebo­ren und besuch­te bereits im Kin­des­al­ter mit sei­ner Mut­ter die Kunst­mu­se­en von New York. In sei­nem Eltern­haus wur­de stets auf gute Bil­dung geach­tet, sodass er wäh­rend sei­ner Jugend Schü­ler an meh­re­ren Pri­vat­schu­len war. Den­noch riss er immer wie­der von zu Hau­se aus und stell­te aller­lei Unfug an. Schließ­lich wech­sel­te Bas­qui­at 1977 an die "City-​As-​School" für begab­te Kin­der mit Inte­gra­ti­ons­schwie­rig­kei­ten. Dort lern­te er den Wri­ter Al Diaz ken­nen, freun­de­te sich mit die­sem an und begann, sich eben­falls künst­le­risch zu betä­ti­gen. Die bei­den Jugend­li­chen erfan­den den fik­ti­ven Cha­rak­ter "SAMO©" – eine Kurz­form von "Same old Shit". So began­nen sie 1978 damit, mit Mar­kern iro­ni­sche und kryp­ti­sche, sozi­al­kri­ti­sche Bot­schaf­ten wie "SAMO© AS AN ALTERNATIVE TO PLASTIC FOOD STANDS" zu schrei­ben. Es folg­te – ähn­lich wie bei CORNBREAD und Taki 183 – ein media­les Rät­sel­ra­ten um die Urhe­ber der Kritzeleien.

Noch im sel­ben Jahr ver­kauf­ten die bei­den ihre Geschich­te an das "Vil­la­ge Voice"-Magazin für gera­de ein­mal 100 Dol­lar und ver­öf­fent­lich­ten damit ihre Iden­ti­tä­ten. Dar­auf­hin ging Bas­qui­at sei­nen eige­nen Weg und nann­te sich selbst SAMO. Er konn­te eini­ge Kon­tak­te in die Kunst­sze­ne knüp­fen und in TV-​Shows auf­tre­ten. Finan­zi­el­ler Erfolg blieb jedoch vor­erst aus. Bas­qui­at brach die Schu­le ab und zog bei Freun­den ein. In die­ser Zeit schlug er sich mit dem Ver­kauf bedruck­ter T-​Shirts durch. Um 1980 mach­te er auch Bekannt­schaft mit Fab 5 Fred­dy, zwi­schen den bei­den ent­wi­ckel­te sich eine enge Freund­schaft. Ein Jahr spä­ter lern­te er dann die Gale­ris­tin Anni­na Nos­ei ken­nen, die ihm den Kel­ler ihrer Gale­rie als Ate­lier zur Ver­fü­gung stell­te und ihn bei Samm­lern bekannt mach­te. Im dar­auf­fol­gen­den Jahr konn­te er sei­ne Wer­ke bei der "docu­men­ta VII" in Kas­sel aus­stel­len und ist mit 21 Jah­ren bis heu­te der jüngs­te Teil­neh­mer der renom­mier­ten Aus­stel­lungs­rei­he. Dar­auf folg­te eine kome­ten­haf­te Kar­rie­re hin zu einem der bekann­tes­ten Künst­ler der Welt und Spar­rings­part­ner von Andy War­hol. Bas­qui­at starb bedau­er­li­cher­wei­se im Jahr 1988 an einer Hero­in­über­do­sis. Er ist der ers­te Schwar­ze Künst­ler, der in der wei­test­ge­hend wei­ßen Kunst­welt einen solch gro­ßen Respekt genießt und sie mit sei­nem unor­tho­do­xen Stil auf den Kopf stellt.

Somit zeigt sich schon früh in der HipHop-​Geschichte – über das Ele­ment des Wri­tin­gs – eine enge Ver­bin­dung zur bil­den­den Kunst. Doch trotz die­ser Ver­bin­dung und dem ihnen ent­ge­gen­ge­brach­ten Respekt gel­ten Schwar­ze wie Fred­dy und Bas­qui­at in der Kunst­sze­ne immer als Exo­ten, die sich kaum von ihren Wur­zeln in der Stra­ßen­kunst eman­zi­pie­ren kön­nen. So müs­sen sie sich stets gegen Ras­sis­mus in der von wei­ßen Bil­dungs­bür­gern beherrsch­ten Kunst­bran­che durch­set­zen. Bei­spiels­wei­se wur­de Bas­qui­at, auf der Höhe sei­nes Schaf­fens, bloß als Mas­kott­chen von Andy War­hol bezeichnet.

Bas­qui­at, Pain­ting Live Street Graffiti

 

Graf­fi­ti als Zugang zur bil­den­den Kunst

In den frü­hen 90er Jah­ren sind die gol­de­nen Jah­re von Hip­Hop und damit auch von Graf­fi­ti bereits ange­bro­chen. Genau wäh­rend die­ser Zeit zieht ein jun­ger Mann namens Bri­an Don­nel­ly mit sei­ner Fami­lie von New Jer­sey nach New York. Don­nel­ly ist fas­zi­niert von den bun­ten Bil­dern an den Häu­ser­fas­sa­den in New York und beginnt schnell, selbst die Dose in die Hand zu neh­men. Er erfin­det für sich den Tag "KAWS", der rein auf der Ästhe­tik der Buch­sta­ben basiert und kei­ne tie­fe­re Bedeu­tung hat. Er sprüht die vier Buch­sta­ben sogar auf das Dach eines sei­ner Schu­le nahe gele­ge­nen Gebäu­des, um sie wäh­rend des Unter­richts sehen zu kön­nen. Da Kunst und Design sei­ne gro­ße Lei­den­schaft sind, besucht er von 1993 bis 1996 die School of Visu­al Arts in New York und erlangt den "Bache­lor of Fine Arts". Nach sei­nem Abschluss arbei­tet er als Visu­al Artist für gro­ße Fir­men wie Dis­ney. Trotz sei­ner Tätig­keit hört er nicht auf, ille­gal zu sprü­hen, und beginnt dar­über hin­aus, eige­ne Skulp­tu­ren zu kre­ieren. Im Jahr 1999 bringt er, gemein­sam mit einem japa­ni­schen Spiel­zeug­her­stel­ler, die Micky Maus-​ähnlichen "Companion"-Figuren auf den Markt, die gro­ße Bekannt­heit erlan­gen und heu­te für Prei­se von etwa 400.000 Euro gehan­delt wer­den. Im sel­ben Jahr beginnt KAWS damit, sei­ne Male­rei­en und Figu­ren dau­er­haft bei "Colet­te" in Paris – einem High Fashion-​Streetwear-​Shop – aus­zu­stel­len und zu ver­kau­fen und schafft sich damit einen Platz im Olymp der zeit­ge­nös­si­schen Kunst.

Durch die bun­ten Plas­tik­fi­gu­ren als Mar­ken­zei­chen wird er jedoch von man­chen Tei­len der Kunst­sze­ne nicht als ech­ter Künst­ler ange­se­hen. Auch wird er wegen sei­ner Arbeit mit Fashion Brands oft eher als Desi­gner wahr­ge­nom­men. Den­noch bricht er die Gren­zen zwi­schen Kunst und Kom­merz auf, was in den 90er und frü­hen 2000er Jah­ren auch im Hip­Hop im gro­ßen Maß­stab stattfindet.

The Figu­re Taking Down Mickey Mou­se and Dis­rupt­ing the Art World | Behind The HYPE: KAWS Companion

Die Geschich­te von KAWS zeigt, dass Graf­fi­ti Jugend­li­chen einen Zugang zu bil­den­der Kunst und Design ermög­li­chen kann. Die Pie­ces an den Fas­sa­den und in den U-​Bahnen kann jede:r sehen und auch selbst kre­ieren, unab­hän­gig von Her­kunft oder Bil­dungs­stand. Auch beweist er, dass aus dem Ruhm auf der Stra­ße ein ech­ter Beruf wer­den kann.

 

Kunst als Plattencover

Über die Jah­re bleibt die Ver­bin­dung zwi­schen Hip­Hop und Kunst­welt nach wie vor bestehen. In den frü­hen 2000er Jah­ren wer­den vie­le von Bas­qui­ats Wer­ken bei Aus­stel­lun­gen gezeigt, die einen direk­ten the­ma­ti­schen Bezug zu Hip­Hop haben. Auch KAWS kann in die­ser Zeit durch eine Zusam­men­ar­beit mit Nigo – dem Grün­der der japa­ni­schen Mode­mar­ke "A Bathing Ape" – auf sich auf­merk­sam machen. Letz­te­rer ist durch sei­ne Clot­hing Line bes­tens in der HipHop-​Szene ver­netzt und lenkt die Auf­merk­sam­keit eini­ger Rapper:innen auf den ehe­ma­li­gen Sprü­her. So ent­steht unter ande­rem eine Ver­bin­dung zwi­schen die­sem und Kanye West. Im Jahr 2008 ent­wirft KAWS schließ­lich das Album­co­ver zu Kanyes gefei­er­tem Album "808s and Heartbreaks".

Kanye West & Visu­al Art | The Report | All Def Music

Ins­ge­samt scheint Kanye ein Fai­ble für zeit­ge­nös­si­sche Kunst zu haben. Dies ist nicht wei­ter ver­wun­der­lich, wenn man bedenkt, dass er bereits mit 17 Jah­ren eige­ne Wer­ke mit dem Pin­sel gemalt hat und sogar ein Sti­pen­di­um für die Ame­ri­can Aca­de­my of Art in Chi­ca­go bekam. So wird auch das Cover zu "Gra­dua­ti­on" im Jahr 2007 von Taka­shi Mura­ka­mi ent­wor­fen. Der Künst­ler und Desi­gner wird oft als "der japa­ni­sche War­hol" beti­telt. Auch die dar­auf­fol­gen­den Pro­jek­te von Kanye wer­den immer von zeit­ge­nös­si­schen Künstler:innen visu­ell gestal­tet. Für das Kollabo-​Album "Watch The Thro­ne" mit Jay-​Z aus dem Jahr 2011 über­nimmt die­se Rol­le Vir­gil Abloh und erhält dafür sogar eine Grammy-​Nominierung. Abloh ist beson­ders durch die von ihm design­te Mode bekannt, unter ande­rem für das Design­haus Lou­is Vuit­ton oder sei­ne eige­ne Mode­mar­ke "OFF WHITE". Sein mini­ma­lis­ti­scher Stil beein­flusst die gesam­te Welt der visu­el­len Gestal­tung. Er ver­stirbt am 28. Novem­ber 2021 im Alter von nur 41 Jah­ren. Kurz nach sei­nem Able­ben titelt das Observer-​Magazin: "Befo­re He Died, Off-​White Foun­der Vir­gil Abloh Chan­ged Con­tem­po­ra­ry Art".

Sowohl Abloh als auch KAWS haben auf ihr eige­ne Art und Wei­se einen HipHop-​Background oder zumin­dest eine star­ke Ver­bin­dung zur Sze­ne. Auch haben bei­de ein extrem wich­ti­ges Merk­mal von Hip­Hop in ihre Kunst und ihre Designs über­nom­men: das Sam­pling. Wie bereits erwähnt ist das bekann­tes­te Werk von KAWS eine Figur, die stark an Micky Mou­se erin­nert, und auch sonst bedient er sich gern an Comic-​Vorlagen wie den Schlümp­fen oder den Simpsons. Abloh hin­ge­gen hat zu Beginn sei­ner Kar­rie­re "Ralph Lauren"-Hemden ver­kauft, auf die er das Logo sei­ner dama­li­gen Mar­ke "Pyrex Visi­on" gedruckt und damit sei­nen Durch­bruch als Desi­gner geschafft hat. Bei­de haben bereits Vor­han­de­nes genom­men, es ver­än­dert oder in einen neu­en Zusam­men­hang gebracht – eben­so wie es beim Sam­pling geschieht. So zeigt sich, dass bil­den­de Kunst und die HipHop-​Kultur nicht nur eng mit­ein­an­der ver­bun­den sind, son­dern sich sogar gegen­sei­tig beeinflussen.

 

HipHop-​Ikonen in der Kunstszene

Ein wei­te­rer Kunst­lieb­ha­ber in der HipHop-​Szene ist Jay-​Z. Auf sei­nem Song "Ain't I" rappt er bereits im Jahr 2008: "I got War­hols on my hall's wall. I got Bas­qui­ats in the lob­by of my spot." Mit der Zeit wer­den eben­die­se Lines von Jig­ga zur Wirk­lich­keit. So ist er mitt­ler­wei­le Besit­zer des Gemäl­des "Mec­ca" von Jean-​Michel Bas­qui­at – einem der iko­nischs­ten Wer­ke des Malers. Laut dem For­bes Maga­zi­ne soll Jay-​Zs gesam­te Kunst­samm­lung 70 Mil­lio­nen Dol­lar wert sein. Auch grün­det er das Unter­neh­men "Art­Li­ve", das jun­gen Künstler:innen eine Platt­form und einen Weg in die Kunst­in­dus­trie bietet.

Unter den Rap-​Mogulen gibt es wei­te­re ernst zu neh­men­de Kunst­samm­ler, die durch­aus Ein­fluss auf den Markt neh­men kön­nen. So erstei­gert Sean Combs ali­as P. Did­dy im Jahr 2018 etwa das Gemäl­de "Past Times" von Ker­ry James Mar­shall für sat­te 21 Mil­lio­nen Dol­lar. Damit ist es das teu­ers­te von einem Schwar­zen Künst­ler gemal­te Werk, das jemals ver­kauft wurde.

In den letz­ten Jah­ren hält ganz beson­ders ein Rap­per die "Fine Art"-Fahne hoch: West­side Gunn aus Buf­fa­lo. Seit Beginn sei­ner Kar­rie­re pflegt das Gri­sel­da Records-​Member neben der Musik eine enge Bezie­hung zur visu­el­len Kunst. Sein im Jahr 2019 erschie­ne­nes Album "Pray for Paris" – das ihm sei­nen inter­na­tio­na­len Durch­bruch beschert – beginnt mit einem Skit, das den Titel "400 Mil­li­on Plus Tax" trägt. Hier ist eine Ton­auf­nah­me der Ver­stei­ge­rung von Leo­nar­do DaVin­cis "Sal­va­tor Mun­di", des teu­ers­ten Gemäl­des der Welt, zu hören. Das Cover von "Pray for Paris" wird außer­dem von Vir­gil Abloh designt. Hier­zu bedient er sich am Gemäl­de "David mit dem Haupt des Goli­ath" von Michel­an­ge­lo Meri­si da Cara­vag­gio und legt David dabei die cha­rak­te­ris­ti­schen Ket­ten von West­side Gunn an. Auch hier zeigt sich wie­der, wie sehr die Gren­zen zwi­schen Design und dem all­ge­mein­gül­ti­gen Kunst­be­griff ver­schwim­men. Ganz beson­ders schlägt sich das im Mer­chan­di­se von Gri­sel­da Records nie­der. So ver­rät West­side Gunn in einem Inter­view: "I com­mis­si­on a dope artist and have them do the ori­gi­nal pain­ting, and then I turn that into mer­chan­di­se. […] Now you have your fashion lovers and your art lovers. It's kil­ling a lot of birds with one stone." Im Lau­fe der Zeit arbei­tet er mit ver­schie­de­nen Künstler:innen zusam­men. Die­se schmü­cken mit ihren Gemäl­den dann Plat­ten­co­ver und Klei­dung, die danach häu­fig von West­side Gunn per­sön­lich ver­edelt werden.

West­side Gunn & Joey Bada$$ - 327 (ft. Tyler, The Crea­tor & Bil­lie Ess­co) (Audio)

Dass Rapper:innen sich von der bil­den­den Kunst ange­zo­gen füh­len, ist nicht wei­ter ver­wun­der­lich, wenn man bedenkt, dass visu­el­le Ele­men­te schon immer eine wich­ti­ge Rol­le in der Selbst­dar­stel­lung und Iden­ti­täts­bil­dung von Rapper:innen spie­len. Dar­über hin­aus ist der Besitz von Kunst oder gar das Schaf­fen von eige­ner Hoch­kunst der ulti­ma­ti­ve Beweis für den sozia­len Aufstieg.

 

Her­aus­for­de­run­gen und Miss­ver­ständ­nis­se: Die Wahr­neh­mung von Hip­Hop als Kunstform

Die Geschich­te des Zusam­men­spiels von Kunst und Hip­Hop reicht also zurück bis in die Anfän­ge der HipHop-​Kultur in den 70er Jah­ren. Ins­be­son­de­re Writer:innen, die ihre Wer­ke auf den Stra­ßen hin­ter­lie­ßen, waren maß­geb­lich dar­an betei­ligt, die Ver­bin­dung zwi­schen bil­den­der Kunst und Hip­Hop zu knüp­fen. Das Wri­ting dien­te als Sprach­rohr für die noch jun­ge Kul­tur und wur­de zu einer Form des künst­le­ri­schen Aus­drucks. Im Lau­fe der Zeit wur­de die Ver­bin­dung von bil­den­der Kunst und Hip­Hop inten­si­ver, ein­her­ge­hend mit einer gestei­ger­ten Wahr­neh­mung als krea­ti­ve und poli­ti­sche Kunst­form. Rap-Musiker:innen began­nen dazu noch, die visu­el­le Kunst als Aus­drucks­mit­tel in ihren Album­co­vern, Musik­vi­de­os und Büh­nen­shows zu nut­zen. Gleich­zei­tig öff­ne­ten sich die Kunst­welt und eta­blier­te Insti­tu­tio­nen zuneh­mend für die Ein­flüs­se der HipHop-​Kultur. Künstler:innen wie Jean-​Michel Bas­qui­at stie­gen aus der Graffiti-​Szene auf und erlang­ten inter­na­tio­na­le Bekanntheit.

Trotz der gro­ßen Reich­wei­te und des Ein­flus­ses von Hip­Hop gab es immer Miss­ver­ständ­nis­se über sei­nen Sta­tus als Kunst­form. Die meis­ten Medi­en nah­men Hip­Hop oft als rebel­li­sche Sub­kul­tur mit nega­ti­ven Inhal­ten wahr und igno­rier­ten dabei den poli­ti­schen und kul­tu­rel­len Aspekt der Kunst. Nichts­des­to­trotz wur­de die Ver­bin­dung von Kunst­welt und HipHop-​Kultur zu einer wech­sel­sei­ti­gen Inspi­ra­ti­ons­quel­le. Rapper:innen fin­den ihre Inspi­ra­ti­on in der Kunst und inte­grie­ren die­se wei­ter in ihre Tex­te und Per­for­man­ces. Bei­spie­le dafür sind die unzäh­li­gen Quer­ver­wei­se von Writer:innen und Rapper:innen zu bekann­ten Künstler:innen, die zei­gen, wie Graf­fi­ti und Rap die Welt der eta­blier­ten Kunst herausfordern.

Die Ver­bin­dung von Kunst und Hip­Hop hat dazu geführt, dass HipHop-Künstler:innen zuneh­mend in die eta­blier­ten Kunst­ga­le­rien und Muse­en ein­ge­la­den wer­den. Aus­stel­lun­gen und Ver­an­stal­tun­gen, die von Hip­Hop inspi­rier­te Kunst prä­sen­tie­ren, erfreu­en sich mitt­ler­wei­le gro­ßer Beliebt­heit. Die Kunst­welt erkennt den kul­tu­rel­len und künst­le­ri­schen Wert von Hip­Hop immer mehr an und wür­digt sei­ne Bei­trä­ge zur moder­nen Kunst. Aus die­sem Grund fin­den wäh­rend des gesam­ten Jah­res Kunst­aus­stel­lun­gen, die Bezug auf Hip­Hop neh­men, auf dem gesam­ten Glo­bus statt.

Die bei­den Wel­ten inter­agie­ren und beein­flus­sen sich gegen­sei­tig, was zu einer bedeut­sa­men Dyna­mik führt. Die wech­sel­sei­ti­ge Inspi­ra­ti­on hat dazu geführt, dass Hip­Hop und bil­den­de Kunst heu­te stark mit­ein­an­der ver­bun­den sind und ein­an­der berei­chern. Die Geschich­te die­ser Ver­bin­dung ist geprägt von Krea­ti­vi­tät, Rebel­li­on und dem Auf­bre­chen eta­blier­ter Nor­men – Merk­ma­le, die sowohl der HipHop-​Kultur als auch der bil­den­den Kunst zuge­schrie­ben werden.

(Nico Maturo)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)