Kategorien
Interview

Reeperbahn Kareem – ein Gespräch über Sozial- und Jugendarbeit

"Es gibt hier Kri­mi­na­li­tät und zer­rüt­te­te Fami­li­en. Die Kin­der wol­len sich nicht in Sport­ver­ei­nen anmel­den und sind nicht gera­de die dis­zi­pli­nier­tes­ten Schü­ler." – Ree­per­bahn Kareem über die Her­aus­for­de­run­gen der Jugend­ar­beit in Ham­bur­ger Brennpunkten.

Wer im Ham­bur­ger Stadt­teil St. Pau­li durch die Sil­ber­sack­stra­ße läuft, wird mit hoher Wahr­schein­lich­keit auf meh­re­re Dut­zend 8- bis 14-​Jährige tref­fen, die sich auf einem Sport­platz gegen­sei­tig Prat­zen hoch­hal­ten, Box­tech­ni­ken üben oder an ihrer Aus­dau­er arbei­ten. Mit­ten­drin: Rap­per und St. Pauli-​Urgestein Ree­per­bahn Kareem. Täg­lich trai­niert er hier für meh­re­re Stun­den Kin­der und Jugend­li­che in ver­schie­de­nen Kampf­sport­ar­ten. Dabei geht es jedoch nur in zwei­ter Linie dar­um, das nächs­te gro­ße Box­ta­lent zu ent­de­cken. Viel­mehr ist das Trai­ning Teil eines sozia­len Pro­jekts, der Sil­ber­sack Hood Talent­för­de­rung. Gemein­sam mit sei­ner Schwes­ter Nas­sy Ahmed-​Buscher hat Kareem 2021 das gemein­nüt­zi­ge Unter­neh­men gegrün­det, mit dem er Kin­der und Jugend­li­che auf St. Pau­li för­dern und ihnen eine Per­spek­ti­ve abseits des oft pro­blem­be­haf­te­ten All­tags auf­zei­gen will. Zum Pro­gramm gehö­ren neben dem "Sil­ber­sack Hood Gym" mitt­ler­wei­le auch Bil­dungs­an­ge­bo­te wie Sprach­för­de­rung, Musik­work­shops und Kunst­kur­se. Ree­per­bahn Kareem ist heu­te nicht nur Rap­per, son­dern auch Sozi­al­ar­bei­ter. Im Inter­view berich­te­te er von den beson­de­ren Her­aus­for­de­run­gen bei der Arbeit mit Kin­dern im sozia­len Brenn­punkt, der Rol­le von Sport und Rap dabei und davon, wie ihn die Arbeit auch selbst verändert.

MZEE​.com: Du bist gewis­ser­ma­ßen ein Urge­stein in dei­nem Kiez. Kannst du uns zum Ein­stieg das Leben auf St. Pau­li mit drei Wor­ten beschreiben?

Kareem: Schnell, laut und extrem.

MZEE​.com: Extrem im posi­ti­ven oder nega­ti­ven Sinn?

Kareem: Bei­des. Alles ist hier extre­mer. Tief­punk­te und Höhe­punk­te. Extre­me Trau­er, extre­mes Glück, extre­me Emotionen.

MZEE​.com: Vor etwa drei Jah­ren haben dei­ne Schwes­ter und du Sil­ber­sack Hood gestar­tet, ein sozia­les Pro­jekt für Kin­der und Jugend­li­che auf St. Pau­li. Wie kamt ihr auf die­se Idee? 

Kareem: Das war eher zufäl­lig. In der Corona-​Zeit konn­te man nicht in Ver­ei­nen oder Fit­ness­stu­di­os trai­nie­ren. Mein Bru­der BOZ, der auch Rap­per ist, mein­te zu mir, ich sei ganz schön fett gewor­den und müs­se mehr Sport machen. Also sind wir mit Prat­zen, Hand­schu­hen und ein paar Leu­ten zum Sport­platz gegan­gen und haben für uns trai­niert. Irgend­wann kam ein klei­ner Jun­ge dazu und hat mit­ge­macht. Mein Kol­le­ge Aaron hat eine Instagram-​Story gepos­tet und alle ein­ge­la­den, die auch Bock dar­auf haben. Erst kam das gan­ze Vier­tel zum Trai­ning und spä­ter ist ganz Ham­burg dar­auf auf­merk­sam gewor­den. Es wur­den immer mehr Kin­der. Men­schen haben uns Equip­ment gespen­det oder uns ein­fach Geld in die Hand gedrückt, damit wir es selbst kau­fen kön­nen. Irgend­wann hat mei­ne Schwes­ter mit­be­kom­men, dass ein ernst­haf­tes Ding dar­aus wer­den könn­te. Wäh­rend ich jeden Tag auf dem Sport­platz war, hat sie es im Hin­ter­grund in die Hand genom­men und ein sozia­les Unter­neh­men dar­aus gemacht. So ist Sil­ber­sack Hood entstanden.

MZEE​.com: Du hat­test also gar nicht unbe­dingt geplant, ein­mal ernst­haft sozia­le Arbeit in dei­ner Hei­mat zu machen. Aus einer spon­ta­nen Idee ist eine Bewe­gung und spä­ter ein rich­ti­ges Pro­jekt entstanden.

Kareem: Ja, genau. Kei­ner von uns hät­te anfangs geglaubt, dass so etwas dar­aus ent­ste­hen kann. Irgend­wann haben wir neben dem Sport auch noch mit Nach­hil­fe und HipHop-​Kursen ange­fan­gen. Mein Bru­der und ich haben schon län­ger Open Mic-​Abende ver­an­stal­tet, die sind dann auch noch mit unse­rem Pro­jekt ver­wach­sen. Wenn ich aber dar­über nach­den­ke, war ich eigent­lich schon län­ger sozi­al aktiv, auch ohne unser Unter­neh­men. Ich hat­te schon immer eine Ader dafür, mich mit Pro­ble­men von ande­ren hier im Kiez zu beschäf­ti­gen und mich durch Rap für mei­ne Stadt ein­zu­set­zen. Zu Beginn mei­ner Kar­rie­re hat mich nur St. Pau­li inter­es­siert und ich habe alles ande­re geha­ted. Ich habe nicht gecheckt, wie Hip­Hop uns ermög­licht, uns gegen etwas Grö­ße­res zusam­men­zu­schlie­ßen, gegen­über dem wir sonst macht­los wären. Spä­ter kam die­se Ein­sicht. Unser sozia­les Pro­jekt hilft mir, in die­ser Hin­sicht noch viel mehr zu bewir­ken als früher.

MZEE​.com: Was sind das für Kin­der und Jugend­li­che, die zu euch kommen?

Kareem: Wir sind hier mit­ten auf dem Kiez – Ham­burg St. Pau­li. Wenn du in unse­rem Vier­tel die Stra­ße hoch­gehst, fin­dest du einen Stra­ßen­strich mit Pro­sti­tu­ier­ten. Wenn du rechts abbiegst, ist da ein Dro­gen­strich. Was soll ich sagen? Es gibt hier Kri­mi­na­li­tät und zer­rüt­te­te Fami­li­en. Die Kin­der wol­len sich nicht in Sport­ver­ei­nen anmel­den und sind nicht gera­de die dis­zi­pli­nier­tes­ten Schü­ler. Anfangs war ich sehr leis­tungs­be­zo­gen, was unser Trai­ning angeht, aber damit kommst du bei die­sen Kids nicht weit. Wobei ab und zu kras­se Talen­te dabei sind. Die Umstän­de sind hier aber zu schwie­rig, um ein Zen­trum für Leis­tungs­sport dar­aus zu machen. Es ist eben ein sozia­les Pro­jekt. Ich ken­ne die Eltern, die Onkels, die Tan­ten und die Cou­sins der Kids und habe einen Ein­blick in ihren Wer­de­gang. Mit Sport kann man die­sen viel­leicht ein biss­chen mit­len­ken, aber es geht mehr um das Sozia­le als um Trai­ning. Du bekommst auf dem Sport­platz mit, wer mit wem Stress hat, wo es einen Ster­be­fall gab und was sonst noch so in ihrem Leben passiert.

MZEE​.com: Sind die Pro­ble­me der Kin­der und Jugend­li­chen heut­zu­ta­ge noch die­sel­ben wie damals, als du in die­sem Alter warst?

Kareem: Ja, das ist schon sehr ähn­lich. Ich ken­ne vie­le Kids, denen es genau­so geht wie mir frü­her. Die sind schwer zu grei­fen und haben kei­nen Bock auf irgend­was. Auf der Stra­ße zu sein ist ein­fa­cher, als sich zu irgend­et­was zu moti­vie­ren, ich ken­ne das. Ich habe sehr früh Gras geraucht. Wir waren kri­mi­nel­le Jungs und haben das Leben genos­sen. Wir woll­ten Mädels klar­ma­chen, aber hat­ten kei­nen Plan von der Welt, kein Geld und waren irgend­wie ver­lo­ren. Aber wenn es in mei­ner Jugend so ein Thai- oder Kickbox-​Projekt gege­ben hät­te, hät­te ich das der­be gefeiert.

MZEE​.com: Du hast vor­hin schwie­ri­ge fami­liä­re Umstän­de bei vie­len Teil­neh­men­den an dei­nem Pro­jekt erwähnt. Wie war das Ver­hält­nis zu dei­nen Eltern als Jugendlicher?

Kareem: Das war auch zer­rüt­tet und schwie­rig. Mein Vater war nicht mehr da. Mei­ne Mut­ter war immer da und ich habe bei ihr gewohnt, bis ich 19 war. Für eine allein­er­zie­hen­de Mut­ter ist es aber nicht so leicht. Sie hat viel gear­bei­tet und war dann abends immer sehr müde. Dadurch hat­ten wir nicht das innigs­te Ver­hält­nis oder viel Aus­tausch. Es war ein­fach eine schwie­ri­ge Zeit für mei­ne Fami­lie. Teil­wei­se sind auch trau­ma­ti­sche Sachen pas­siert. Vie­les habe ich ein­fach von mir weg­ge­scho­ben und mir mei­ne eige­ne klei­ne Welt geschaffen.

MZEE​.com: Umso schö­ner, dass du Kids, denen es ähn­lich geht, heu­te hel­fen kannst.

Kareem: Ja, so ist es. Man kann immer ein biss­chen hel­fen, auch wenn es oft nur ein Trop­fen auf den hei­ßen Stein ist. Wir haben es hier echt mit schwie­ri­gen Geschich­ten zu tun, bei denen du wirk­lich hilf­los bist, nur zugu­cken kannst und dir nichts mehr bleibt, außer die Leu­te in den Arm zu neh­men und zu trös­ten. Es gibt so vie­le hef­ti­ge, kras­se Schick­sa­le und wirk­lich aus­sichts­lo­se Bio­gra­fien hier. Dar­an sieht man erst, wie gut man es gehabt hat und dass man selbst doch nicht so ver­lo­ren war, wie man dachte.

MZEE​.com: Wie gehst du mit sol­chen Momen­ten oder Schick­sa­len um, bei denen du selbst nicht mehr weiterweißt?

Kareem: Hier pas­sie­ren so vie­le herz­zer­rei­ßen­de Geschich­ten, das kannst du in kei­nem Film erzäh­len. Da brauchst du ein dickes Fell, denn man­ches kann man selbst nur schwer ver­ar­bei­ten. Seit ich die­ses sozia­le Pro­jekt mache, gehe ich auch anders mit sol­chen Pro­ble­men um. Ich ste­he jetzt den Men­schen hier gegen­über auch in einer gewis­sen Pflicht. Frü­her hat­te ich nicht mal ein Bank­kon­to und war nir­gend­wo gemel­det. Ich war gegen alle Insti­tu­tio­nen und ein­fach ein Lin­ker aus St. Pau­li. Ich habe bis heu­te eine ziem­li­che Ent­wick­lung gemacht und über­neh­me mehr Ver­ant­wor­tung. Mitt­ler­wei­le gene­rie­re ich monat­lich genug Geld, um mei­ne Mie­te zu zah­len. Ich kann mir nicht alles leis­ten, aber für mei­ne Ver­hält­nis­se ist es krass nach vor­ne gegan­gen. Dar­auf bin ich stolz. Des­halb will ich jetzt ande­ren hel­fen, die sich selbst schon auf­ge­ge­ben haben. Es sind Got­tes Plä­ne. Ich habe nicht gesagt, dass ich jetzt sozi­al aktiv wer­de und Kin­der trai­nie­re. Das ist mir irgend­wie zugeflogen.

MZEE​.com: Die Rap­pe­rin CHAN LE sag­te im Inter­view: "Kampf­sport ver­mit­telt essen­zi­el­le Wer­te wie Durch­hal­te­ver­mö­gen, Dis­zi­plin, Respekt und Beschei­den­heit. Du lernst außer­dem, dein Ego bei­sei­te­zu­las­sen. Man kann viel dar­aus auf ande­re Berei­che des Lebens über­tra­gen." – Ent­spricht das auch dei­nen Erfahrungen?

Kareem: Ja, zu 100 Pro­zent. Nach ein paar Mona­ten siehst du, wie die Kids in der Grup­pe ange­kom­men sind und im Sport auf­ge­hen. Das ist wirk­lich etwas Beson­de­res für mich. Kampf­sport hilft auch Leu­ten, die kein Selbst­wert­ge­fühl und Selbst­be­wusst­sein haben. Beim Boxen ist es so, dass eher die Flei­ßi­gen gewin­nen als die Talen­tier­ten. Es ist wich­tig zu ler­nen, dass Erfolgs­er­leb­nis­se kom­men, wenn du flei­ßig bist.

MZEE​.com: Mitt­ler­wei­le habt ihr sogar Nach­hil­fe im Pro­gramm. Kom­men sol­che Ange­bo­te auch gut bei den Jugend­li­chen an?

Kareem: Am Anfang lief das mit der Nach­hil­fe nur neben­bei. Eini­ge der Leu­te beim Kampf­sport hat­ten so eine schlech­te Recht­schrei­bung und haben so schlecht Deutsch gespro­chen, dass ich sie zu Nach­hil­fe gezwun­gen habe. Spä­ter hat mei­ne Frau das in die Hand genom­men und mit Sil­ber­sack Hood Bil­dung eine eige­ne Spar­te dar­aus gemacht. Aus der Nach­hil­fe ist mitt­ler­wei­le eher eine Sprach­för­de­rung gewor­den, weil wir gemerkt haben, dass wir da mehr machen müs­sen. Wie beim Trai­ning ist auch hier die Her­aus­for­de­rung, dafür zu sor­gen, dass die Kin­der län­ger dabei­blei­ben. Es gibt vie­le, die kom­men zwei Wochen lang und dann wie­der eine Wei­le nicht mehr. Dafür gibt es auch ein paar, die sich nie­mals davon abbrin­gen las­sen. Beim Boxen hat­ten wir mal ein rich­ti­ges Talent dabei, Miles Okay. Den haben wir mit 14 Jah­ren auf dem Sport­platz ent­deckt und zu einem kras­sen Ver­ein gebracht. Der gehört jetzt zum Bun­des­ka­der des deut­schen Box­ver­bands. Aber bei ande­ren muss man eben auch mal streng sein und rumschreien.

MZEE​.com: Es klingt, als sei bei dei­ner Arbeit manch­mal ein har­ter Umgangs­ton gefragt.

Kareem: Ja, auf jeden Fall. Es ist ein hohes Stress­le­vel, aber ich habe mir mitt­ler­wei­le ein kras­ses Ner­ven­kos­tüm zuge­legt. Es dau­ert jetzt län­ger, bis ich aus der Haut fah­re. Aber wenn, dann wird auch mal rich­tig geschrien. Man darf das aber nicht falsch ver­ste­hen. Bei uns herrscht ein ande­rer Umgangs­ton als über­all sonst, auch zwi­schen Erwach­se­nen. Manch­mal kom­men ein paar Typen und pis­sen auf den Fuß­ball­platz. Ein "Ent­schul­di­gen Sie, könn­ten Sie bit­te damit auf­hö­ren?" funk­tio­niert bei den Kin­dern auf St. Pau­li nicht. Die belei­di­gen dann dei­ne Mut­ter. Des­we­gen habe ich teil­wei­se kras­se Streit­ge­sprä­che mit ihnen. Wir sind oft stun­den­lang zusam­men und jeder tes­tet dabei kon­stant sei­ne Gren­zen aus. Trai­ner haben bei uns des­halb schon ein schwe­res Los. Aber ich habe mitt­ler­wei­le gute Mit­tel, um mich durch­zu­set­zen, und sage ihnen, dass ich sie längst durch­schaut habe und sie ihre Faxen bei mir gar nicht erst pro­bie­ren sollen.

MZEE​.com: Hat dir dein Sta­tus als Rap­per gehol­fen, zu den Jugend­li­chen durch­zu­drin­gen und dir ihren Respekt zu erarbeiten?

Kareem: Es ist sicher Fakt, dass ich nie­mals so einen Sta­tus bei den Kids hier auf St. Pau­li hät­te, wenn ich nicht rap­pen wür­de. Die sind wahr­schein­lich alle Rapf­ans. Es hat aber auch damit zu tun, dass wir uns hier alle ken­nen. Ins­be­son­de­re deren Eltern und älte­re Brü­der wis­sen, wer ich bin. Vie­le hier sind aus Roma und Sinti-​Familien und haben sehr jun­ge Eltern. St. Pau­li ist eine klei­ne Welt und wenn du hier zur Schu­le gegan­gen bist, kennst du alle.

MZEE​.com: Rap ist bei Jugend­li­chen in Deutsch­land seit Jah­ren das belieb­tes­te Musik­gen­re. Die Ursprün­ge der Kul­tur lie­gen zudem eigent­lich im Bekämp­fen sozia­ler Miss­stän­de. Nur weni­ge Artists machen jedoch abseits der Musik mit Pro­jek­ten wie dei­nem auf sich auf­merk­sam. Fin­dest du, die Sze­ne ver­schwen­det Poten­zi­al, auf sozia­ler Ebe­ne viel zu bewirken?

Kareem: Dazu kann ich dir ganz viel sagen. Ers­tens ist es in mei­nen Augen immer schon so, dass Hip­Hop aus­ge­beu­tet wird. Sobald etwas Main­stream wird, wird es aus­ge­beu­tet, weil gefuchs­te, ekel­haf­te Men­schen kom­men und dar­aus Kapi­tal schla­gen. Für mich ist die Mes­sa­ge das, was Rap aus­macht und beson­ders macht. Rap ist für die Leu­te, die nicht ins Fern­se­hen oder Inter­net gehen kön­nen, um ihre Mei­nung zu sagen und gehört zu wer­den. Durch Rap kön­nen sie sich aus­drü­cken und eine unzen­sier­te Stim­me von unten bil­den. So habe ich das immer wahr­ge­nom­men. Die Wahr­heit ist aber, dass nicht alle das so sehen. Die meis­ten Rap­künst­ler sind, wie die meis­ten Men­schen all­ge­mein auch, sehr ego­is­tisch. Die leh­nen sich zwar auch gegen das Estab­lish­ment auf, aber nur aus ihrer eige­nen Per­spek­ti­ve. Ich bin schon so lan­ge dabei und kann dir sagen, dass sich vie­le Rap-​Künstler viel zu ernst neh­men. Ich ken­ne eini­ge, die geschei­ter­te Exis­ten­zen sind, weil sie so ein hohes Bild von sich selbst haben und gleich­zei­tig stän­dig die Angst, dass ihr Bild in der Öffent­lich­keit brö­ckelt. Dann brö­ckelt es auch von innen und sie wer­den der­be unglück­lich. Es wirkt unge­recht, dass oft die Leu­te ohne Mes­sa­ge im Rap so eine kras­se Reich­wei­te haben. Ich sehe das aber nicht mehr so, denn wir kön­nen das sowie­so nicht beein­flus­sen. Jeder trägt sein Päck­chen für sich und hat mit sei­nen Sachen zu kämp­fen. Der eine sagt, er sei der kras­ses­te Gangs­ter, und wird dann von 20 rich­ti­gen Gangs­tern gejagt. Es ist über­all so, egal, ob in Frank­reich, Eng­land oder Ame­ri­ka. Das ist kein Deutschrap-​Problem. Es gibt über­all Blen­der und Bluf­fer, die sich an der Kunst berei­chern, und Kapi­ta­lis­ten, die den Scheiß bis zum Ende ausschlachten.

MZEE​.com: Wer dei­ne Musik kennt, weiß, dass du dar­in eige­ne Erfah­run­gen aus dem Kiez ver­ar­bei­test. Ist die Sozi­al­ar­beit für dich mitt­ler­wei­le ein ähn­li­ches Ven­til wie Hip­Hop und ver­än­dert nicht nur das Leben der Kin­der, son­dern auch dein eigenes? 

Kareem: Es hat mein Leben unend­lich ver­än­dert. Es hat auch mei­nen Rap ver­än­dert. Ich über­le­ge mir jetzt fünf­mal, was ich schrei­be. Als hier rund um das Silbersack-​Ding ein Hype ent­stan­den ist, habe ich mich im Rap der­be zurück­ge­hal­ten. Ich habe gemerkt, dass viel falsch ver­stan­den wird und mir Wör­ter im Mund umge­dreht wer­den. Die meis­ten Kin­der waren noch zu jung und haben Lines nicht so ver­stan­den, wie ich sie eigent­lich gemeint habe. Das war eine Zeit lang mein Pro­blem mit dem Rap, aber jetzt gehe ich lang­sam wie­der zurück zu mehr Aggro- und Battle-Kram.

MZEE​.com: Wir leben in Zei­ten eines poli­ti­schen Rechts­rucks, wie das Erstar­ken von Par­tei­en wie der AfD zeigt. Inwie­fern beschäf­tigt das auch dein Umfeld und die Men­schen, mit denen du arbeitest?

Kareem: Das mer­ke ich hier noch nicht so krass. Was man aber in Brenn­punk­ten wie St. Pau­li, Bill­stedt oder Osdorf merkt, ist, wie all­ge­gen­wär­tig Dis­kri­mi­nie­rung unter Kin­dern und Jugend­li­chen ist. Und zwar nicht von Deut­schen gegen­über Aus­län­dern. Hier sind Deut­sche die Min­der­heit und wer­den aus­ge­grenzt, so ist das lei­der. Wenn die AfD das hier sehen wür­de, wür­den die aus­flip­pen und jeden Tag mit Kame­ras kom­men und fil­men. Ich bin auch so auf­ge­wach­sen. In mei­ner Klas­se waren zwei Deut­sche. Die hat­ten es rich­tig schwer, obwohl es eigent­lich coo­le Jungs waren. Die Welt ist ein­fach über­all gefickt. Wenn du aufs Dorf gehst, hast du es als Aus­län­der nicht leicht. Wenn du in einer Groß­stadt in der fal­schen Nach­bar­schaft lan­dest, hast du es als Deut­scher nicht leicht. Die Dis­kri­mi­nie­rung ist der­be krass. Gera­de dort, wo die Leu­te unge­bil­det sind, sind sie sehr zugäng­lich dafür. Als die ers­ten Ukrai­ner nach dem Kriegs­be­ginn hier bei uns waren, kamen Sinti- und Roma-​Kinder zu mir und mein­ten: "Was machen die hier? Die sol­len nicht auf unse­ren Sport­platz kom­men, die sol­len zurück in die Ukrai­ne." Du denkst dir natür­lich, dass der Jun­ge mit neun Jah­ren gar nicht weiß, wovon er redet, aber woher kommt die­ser Hass in sei­ner Stim­me? Frem­den­feind­lich­keit ist ein­fach in ganz Euro­pa ein gro­ßes Pro­blem. Das all die­se Din­ge auch in Deutsch­land pas­sie­ren, ist auf­grund unse­rer Geschich­te natür­lich eine Ohrfeige.

MZEE​.com: Wie reagierst du in sol­chen Fäl­len, in denen du merkst, dass auch Kin­der bereits der­ar­ti­gen Hass in sich tragen?

Kareem: Man muss natür­lich mit ihnen dar­über reden und die Din­ge ganz ruhig erklä­ren. Wobei du in den eigent­li­chen Momen­ten nie direkt zu ihnen durch­kommst, egal, wie sehr du Recht hast und wie gut du erklärst. Das ist immer ein län­ge­rer Pro­zess. Die brau­chen ein biss­chen, um zu che­cken, was für eine Schei­ße sie ange­rich­tet oder gesagt haben. Dann musst du ihnen auch die Chan­ce geben, Taten fol­gen zu las­sen. Es darf nicht nur Gere­de blei­ben, die müs­sen durch ihr Ver­hal­ten zei­gen, dass wir alle eine Ein­heit sind. Kei­ner will doch ger­ne vor Krieg flüch­ten. Jetzt schrei­en hier man­che Fami­li­en: "Wir sind kei­ne Flücht­lin­ge, wir sind als Gast­ar­bei­ter gekom­men!" Es gibt also schein­bar schon Aus­län­der ers­ter und zwei­ter Klas­se. Dis­kri­mi­nie­rung hat tau­send ver­schie­de­ne Gesich­ter und man muss wirk­lich von A bis Z Auf­klä­rungs­ar­beit leis­ten. Es lässt sich aber nicht jeder beleh­ren. Man­che sind stur, dick­köp­fig und lei­der auch unge­bil­det und dumm. Das sind die Umstän­de, mit denen ich zu kämp­fen habe. Natür­lich sind nicht alle so.

MZEE​.com: Siehst du dich selbst als Sozi­al­ar­bei­ter oder wür­dest du dei­ne Rol­le anders definieren?

Kareem: Die Sozi­al­ar­bei­ter vom Jugend­haus bei uns sagen, ich wäre der kras­ses­te Sozi­al­ar­bei­ter. (lacht) Es gibt aber auch wel­che, die rich­tig sau­er wer­den und aus­flip­pen, weil ich das nicht gelernt oder stu­diert habe. Aber das sind eher Außen­ste­hen­de, die mich noch nie bei der Arbeit gese­hen haben. Ich selbst sehe mich als Sozi­al­ar­bei­ter. Ich lau­fe durch St. Pau­li und küm­me­re mich um jeden Scheiß. Ich fin­de, es gibt Unter­schie­de in die­sem Beruf. Man­che haben das gelernt, aber nur, um irgend­ei­ne Aus­bil­dung zu machen. Die haben aber eigent­lich gar kein Inter­es­se an den Men­schen. Ande­re haben dafür rich­tig Bock dar­auf und nur eine Aus­bil­dung gemacht, weil man eben die­sen offi­zi­el­len Abschluss braucht, um bei bestimm­ten Insti­tu­tio­nen oder Trä­gern arbei­ten zu kön­nen. Mich selbst macht die­se Arbeit mit Kin­dern oder auch Behin­der­ten ein­fach glück­lich. Das sind ehr­li­che Men­schen, die voll im Leben auf­ge­hen, wenn man ihnen etwas gibt. Das bedeu­tet mir echt viel.

MZEE​.com: Was war die bis­her schöns­te Erfolgs­ge­schich­te, die du im Zuge dei­nes Enga­ge­ments für Kin­der und Jugend­li­che mit­er­le­ben durftest?

Kareem: Auf jeden Fall Miles Okay, den ich vor­hin schon erwähnt habe. Den haben wir zu Uni­ver­sum Boxing gebracht, wo er einen kras­sen Coach hat. Miles wird Pro­fi wer­den. Das sind Geschich­ten, da könn­te ich heu­len vor Glück. Der Jun­ge hat­te hart zu kämp­fen in sei­nem Umfeld, aber er hat­te Dis­zi­plin und den Wil­len, allen zu zei­gen, dass man es schaf­fen kann. Er kann ein ech­tes Vor­bild für ande­re Jugend­li­che bei uns sein.

(Jan Hart­mann & Enri­co Gerharth)
(Fotos von Lee Maas & Nico Vogelsaenger)