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Plattenkiste

Tua – TUA

Egal, ob Album, Gratis-​Mixtape oder Lieb­lings­song – in unse­rer "Plat­ten­kis­te" stel­len wir Euch regel­mä­ßig die Per­len unse­rer redak­ti­ons­in­ter­nen Samm­lun­gen vor. Die­ses Mal: Tua mit sei­nem gleich­na­mi­gen Album "TUA".

"Was?! Du kennst das nicht? Sekun­de, ich such' dir das mal raus." Und schon öff­net sich die Plat­ten­kis­te. Wer kennt die­sen Moment nicht? Man redet über Musik und auf ein­mal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzu­fan­gen weiß. Und plötz­lich hagelt es Lob­prei­sun­gen, Hass­ti­ra­den oder Anek­do­ten. Gera­de dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwär­men ver­fällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das The­ma wich­tig ist, bit­tet man nicht all­zu sel­ten um eine Kost­pro­be. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Per­son so sehr am Her­zen zu lie­gen scheint. In die­sem Fall – was uns so sehr am Her­zen liegt: Ein Aus­zug aus der Musik, mit der wir etwas ver­bin­den, die wir fei­ern, die uns berührt. Ein Griff in unse­re Plat­ten­kis­te eben.

 

Es wird still in der Münch­ner Kran­hal­le, als Geräu­sche eines Beatmungs­ge­räts die ers­ten Sekun­den des Songs "Vater" ein­läu­ten. Und wenn ich still sage, mei­ne ich still: Kein Getu­schel hin­te­rer Rei­hen, kein mit Glä­sern han­tie­ren­der Bar­kee­per und kei­ne Bewe­gung in der Men­schen­men­ge unter­bricht das blei­er­ne Klap­pern, wel­ches von der Büh­ne schallt. Man fühlt nur die Schwe­re der Wor­te und auf­ge­la­de­nen Emo­tio­nen des Inter­pre­ten und spürt, wie sie sich auf die oft­mals geschlos­se­nen, oft­mals mit Trä­nen gefüll­ten Augen des Publi­kums übertragen.

Der Song für den ver­stor­be­nen Vater ist das in sei­nem Schmerz kaum zu ertra­gen­de High­light des drit­ten Solo-​Albums von Tua, das sich mit über zehn Jah­ren War­te­zeit seit "Grau" wie eine Zeit­rei­se anfühlt. Dank Geschich­ten über das Leben in der "Vor­stadt", ver­flos­se­nen Lie­ben zu Frau­en und zu Sub­stan­zen wie auch der Fort­set­zung des 2009 erschie­ne­nen Songs "Bru­der", der einem Hil­fe­ruf an den Haft­stra­fe absit­zen­den Freund gleicht, schließt "TUA" fast naht­los an den moder­nen Klas­si­ker von damals an. Ein­zig, was sich fun­da­men­tal geän­dert hat, ist das Lebens­al­ter des Künst­lers, mit dem text­li­che wie musi­ka­li­sche Rei­fe ein­her­ge­hen. Alles wirkt run­der, schlüs­si­ger im Kon­zept und weni­ger roh und wütend, eher selbst­re­flek­tiert und sicher. Fast jeder Mensch, mit dem ich seit­dem sprach, fin­det ein Stück auf "TUA", bei dem er sich selbst wie­der­fin­det und gedank­lich eine eige­ne Zeit­rei­se in die Ver­gan­gen­heit antritt.

An die­ser Stel­le bringt mich mei­ne eige­ne Zeit­rei­se zurück zu dem Moment, als die letz­ten Akkor­de von "Vater" in der Münch­ner Kran­hal­le erklan­gen. Die Stil­le lös­te sich in über vier Minu­ten kei­ne Sekun­de auf – und selbst, als das Stück zu Ende war, hat­te sie den Raum noch fest im Griff. Für ein paar Momen­te konn­te man Steck­na­deln fal­len hören, so sehr war das gesam­te Publi­kum im Bann oder in Gedan­ken an eige­ne, bereits ver­stor­be­ne Ver­wand­te. Ein etwas irri­tier­ter, aber lächeln­der Tua durch­brach die Stil­le, indem er "Tief­blau" anstimm­te und den wohl­ver­dien­ten Jubel erst nach eben­je­nem Song ern­te­te. Ich hof­fe, ihm ist bewusst, welch unver­gess­li­ches Erleb­nis er den Konzertbesucher:innen schenkte.

(Sven Aumiller)