"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Wie viel Urlaubsfeeling darf ein Song eigentlich transportieren? Natürlich eine rhetorische Frage, aber wenn bei mir die ersten Sekunden des Tracks "Shigeo" durch die Boxen laufen, geht in meinem Kopf der Ferienmodus an und ich würde mich am liebsten an den Strand legen.
Möglicherweise hat diese Assoziation etwas damit zu tun, dass der Song von Galv & S. Fidelity auf meinem Roadtrip durch Frankreich und Spanien auf Repeat lief – das ist aber lange nicht alles. Anfangen kann man zum Beispiel beim Sample, das S. Fidelity gepickt hat. Die Melodie des namensgebenden Japaners Sekitō Shigeo ist so einprägsam und einzigartig, dass sich daran unter anderem schon US-Rapper Travis Scott oder der Kanadier Mac DeMarco bei dem Song "The Word II" bedient haben. Der zugehörige Synthesizer zieht einen dabei in den Bann und wird durch S. Fidelity gekonnt mit Elementen wie Rimclicks, Snares oder auch Hi-Hats erweitert. Das verleiht dem Ganzen noch mehr Energie, ohne dass der Bezug zum Original verloren geht. "Shigeo" ist also vielleicht als ein Tribute zu verstehen, auch weil den Sounds der E-Orgel des Japaners, wie bei einem Jazz-Solo, viel Platz gegeben wird. Der zweite große Teil, der zur Atmosphäre dieses Songs beiträgt, ist Galv. Durch seine eigene Art am Mikro, die oft skurillen, aber cleveren Reime und entspannte Lines über Spliffs, Whiskey oder die Serpentinen am Meer lässt der Rapper das Fernweh noch mal richtig aufkommen.
Eigentlich steht das komplette gleichnamige Album "Shigeo" für Unbeschwertheit und entspannte Vibes, das ist sicher. Der letzte Song der Platte treibt das Ganze aber auf die Spitze. Ohne das Original von Sekitō Shigeo wäre das nicht möglich. Die beiden Künstler haben den Song durch ihre Einflüsse so abgerundet und aufgewertet, dass sich sowohl das Sample als auch das Werk von Galv & S. Fidelity für immer in mein Gehirn eingebrannt haben. So viel Ferienvibes und Fernweh darf ein Song definitiv transportieren – besonders dann, wenn gerade kein Urlaub ansteht.
(Jakob Zimmermann)