An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des:der Autor:in und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
Im Folgenden setzen sich unsere Redakteurinnen Emily und Lena damit auseinander, inwiefern Shirin Davids Feminismus und badmómzjays Empowerment womöglich das Bild der Frau als Ausnahme im deutschen Rap festigen.
Unsere Redaktion hat schon in vielen Artikeln aufgezeigt, dass der deutsche Rap ein Problem mit Homophobie, Transfeindlichkeit und Sexismus hat und dass sich die Szene immer noch schwer tut, daran etwas zu ändern. Deshalb wollen wir mal wieder den Finger in die Wunde legen und über Feminismus sprechen, denn obwohl die männerdominierte Szene mittlerweile ordentlich von weiblich gelesenen und queeren Künstler:innen aufgemischt wird, schaffen es die wenigsten davon in die Charts. Zwei Ausnahmen stellen dabei Shirin David und badmómzjay dar. Ihre Songs laufen regelmäßig im Radio und die beiden haben zahlreiche Preise abgeräumt – wie zum Beispiel Shirin den Bambi und badmómz schon zweimal den MTV Award für Best German Act. Das ist eine wichtige und tolle Entwicklung, denn für viele aufstrebende Künstler:innen sind die beiden ein Vorbild. So rappt zum Beispiel Donna Savage auf dem Song "Dickes Fell" mit Wa22ermann: "An Missy, Schwesta Ewa und auch Shirin: Wegen euch Queens bin ich heute die, die ich bin."
Trotzdem müssen wir bei manchen Statements oder Textzeilen von Shirin und badmómzjay schlucken. Denn obwohl die beiden klar feministische Positionen beziehen, gibt es immer wieder Dinge, die zumindest unserem Verständnis von Feminismus widersprechen. Zu diesem Verständnis gehört für uns, dass vor allem weibliche Körper in all ihren Formen normalisiert werden, egal, ob mit oder ohne Cellulite, mit mehr oder weniger Gewicht. Dass Frauen sich gegenseitig unterstützen und feiern und nicht in einem ständigen Wettbewerb zueinander stehen. Und dass Feminismus nur als solcher bezeichnet werden kann, wenn er intersektional ist – das heißt, wenn er nicht nur Sexismus, sondern auch Rassismus, Ableismus, Queerfeindlichkeit, Antisemitismus und sonstige Formen der Diskriminierung bekämpft und deren Überschneidungen anerkennt. Wir haben uns also gefragt, ob Schönheits-OPs als feministisch bezeichnet werden können, so wie Shirin das tut. Oder ob frau noch Platz für andere Frauen im Rap lässt, wenn sie sich permanent wie badmómzjay als Queen of Rap darstellt. Diese und weitere Punkte haben uns dazu gebracht, unser Verständnis von Feminismus zu überdenken. Haben wir eventuell ein zu klischeehaftes Bild von der "Frauenbewegung"? Die folgenden Punkte sollen zum Nachdenken anregen, wie wir Rap noch inklusiver gestalten können, und darauf hinweisen, dass Feminismus eben nicht gleich Feminismus ist.
Shirin David, die unter anderem für ihre betont weiblichen Looks bekannt ist, nennt sich Feministin und Deutschrap-Barbie in einem Atemzug. Ebenso weist badmómzjay selbstbewusst Bodyshaming-Kommentare auf ihren Social Media-Kanälen in die Schranken, welche sich auf ihr Gewicht und ihre Kurven beziehen. Unserer Meinung nach ist das eine wichtige Entwicklung und eine Erleichterung, da Feminist:innen, die sich sehr weiblich präsentieren, somit nicht mehr der Feminismus abgesprochen wird. Denn egal, ob Frauen sich den patriarchalen Schönheitsidealen hingeben oder nicht, sie werden sexualisiert. Nach sexuellen Übergriffen richten sich die gestellten Fragen daher eher nach dem Aussehen der betroffenen Frau als nach den Motiven des Täters. Darum ist es fast schon ein Akt der Rebellion, die eigene Weiblichkeit, egal wie diese aussieht, mit Stolz zu tragen. Die Hyperfeminität à la Shirin und badmómzjay soll somit für weibliche Freiheit stehen und feiert eine für unsere Gesellschaft stereotypische Weiblichkeit, wie beispielsweise aufgespritzte Lippen, Brazilian Butt Lift und Silikon-optimierte Körper. Ein moderner Feminismus erkennt an, dass eine Abwertung von betonter Weiblichkeit und Schönheitsvorstellungen jeglicher Art letztendlich dazu führt, dass Frauen gegeneinander ausgespielt werden. Und genau deswegen ist es hochproblematisch, dass Shirin David in ihrem neuen Song "Bauch, Beine, Po" ein toxisches Schönheitsbild idealisiert, welches schlanke Körper als unbedingt erstrebenswert darstellt: "Geh' ins Gymi, werde skinny, mach' daraus eine Show. Wir sind pretty im Bikini, das ist Bauch, Beine, Po."
Gerade aus diesem Grund finden wir es so schade, dass sich Shirin und badmómzjay so oft als weibliche Ausnahmen im Rap darstellen. Badmómz spricht in ihren Rap-Texten selten von den Frauen, mit denen sie zusammenarbeitet, wie zum Beispiel ihrer Make-up-Künstlerin oder ihrer Stylistin, welche maßgeblich ihre Looks und somit ihre Auftritte und Musikvideos prägen. Umso öfter rappt sie über ihre Jungs, wie zum Beispiel zuletzt bei ihrem Feature auf dem Song "French Nails" vom Rap-Duo Bounty & Cocoa: "Einer deiner Jungs hat mit meinen Jungs jetzt Streit." Auch wenn uns das ein bisschen an die Idee vom "Pick-me-Girl" erinnert, nach dem Motto "Ich bin mit mehr Männern befreundet als mit Frauen, Frauen sind Zicken und Männer sind unkompliziert", kollaboriert sie jedoch auf genau diesem Track mit zwei weiblichen Artists, die nicht so viel Reichweite haben wie sie selbst und pusht sie dadurch. Dass es weniger wirklich erfolgreiche weiblich gelesene Rapper:innen gibt als männlich gelesene, über die badmómz rappen könnte, mag auch einfach an den frauenfeindlichen Strukturen der Szene liegen. Über die Frauen, mit denen sie sonst zusammenarbeitet, spricht sie allerdings meist "nur" auf Social Media, wie zum Beispiel die Tänzer:innen, die sie auf Tour begleiten – insbesondere Luwam Russom, die badmómzjays TikTok-Choreographie zum Song "Komm mit" geprägt hat. Trotzdem halten wir es für unpassend, dass sich die Metaphern und Vergleiche, die sie in ihren Texten benutzt, um ihre Power und Stärke zu betonen, meistens auf Männlichkeit beziehen. Zum Beispiel rappt sie auf "T.H.A.L": "Ich glaub', wir kennen uns nicht, so bitch get off my dick." Und auf "Checkst du?!" vergleicht sie sich direkt mit dem Playboy-Erfinder Hugh Hefner, dem unter anderem sexueller Missbrauch und Manipulation seiner "Häschen" vorgeworfen wird.
Außerdem reden sowohl Shirin als auch badmómz immer wieder abfällig von anderen Frauen in ihren Texten und objektifizieren sie beispielsweise. Badmómzjay rappt etwa auf "T.H.A.L": "Während andere Bitches Rapper ficken, nur um fame zu werden, muss ich nichts tun." Genauso macht Shirin David zwar auf "Ich darf das" klar, dass sie "keine Frauen in' Schatten" stelle, um selbst zu scheinen. Ein paar Zeilen später droht sie aber: "Wirst du frech, wird dein Mann zu mei'm Sidechick." All das ist schade und problematisch, weil Rap somit weiterhin als Männer-Business wahrgenommen wird und wenig Sicherheit für nicht-männlich gelesene Rapper:innen bietet, da diese eben die Ausnahme sind und somit viel Angriffsfläche bieten. Außerdem wird dadurch, wie bereits angedeutet, der Wettbewerbsgedanke unter Frauen befeuert – nach dem Motto: Es kann nur eine geben!
Die beiden Künstlerinnen haben jedoch auch bewiesen, dass sie mit guter Kritik umgehen können und sich diese zu Herzen nehmen. Entsprechend reagierte Shirin David auf die Blackfishing-Vorwürfe vor ein paar Jahren und badmómzjay, als ihr Song "Snowbunny" als rassistisch bezeichnet wurde, da sie darin Begriffe wie "Karamell" und "Oreo" verwendet, um die Hautfarbe der Person zu beschreiben, die sie begehrt. Diese Begriffe werden von der Black Community größtenteils abgelehnt, da die Gleichsetzung von Hautfarbe mit Essen herabwürdigend ist. Die Rapperin veröffentlichte eine Entschuldigung, welche wiederum als Schuldumkehrung kritisiert wurde, da badmómzjay meinte, sie sei missverstanden worden. Jedoch nahm sie den Song umgehend von allen Plattformen, was zeigt, dass gute Kritik eine nachhaltige Wirkung haben kann. Dieses Beispiel ist auch relevant für unser Argument, da unser Verständnis von Feminismus, wie erwähnt, intersektional ist: Feministische Kritik richtet sich nicht nur an Sexismus und Misogynie, sondern auch an Rassismus und Xenophobie.
Es ist also ein schwieriges und kompliziertes Thema und pauschal zu sagen, die beiden wären nicht feministisch, ist einfach falsch. Shirin David macht, wie gesagt, in ihren Texten auf viele Missstände der Industrie aufmerksam und solidarisiert sich genau wie badmómzjay mit anderen Frauen und der LGBTQIA+-Community. Shirins Album "Bitches brauchen Rap" hat einen großen feministischen Beitrag zum deutschen Rap geleistet. Trotzdem ist es wichtig und gut, solche Aussagen und Texte zu hinterfragen und konstruktive Kritik zu äußern. Shirin und badmómz polarisieren, fordern heraus und stellen traditionelle Rollenbilder infrage. Oft handeln sie dabei widersprüchlich und entgegen unserem Verständnis von Feminismus. Diese Widersprüchlichkeit bedeutet jedoch nicht, dass wir die beiden als Künstlerinnen abwerten, denn eine Gleichzeitigkeit von Anerkennung und Kritik ist durchaus möglich und wichtig. Dadurch hinterfragen auch wir unsere Ideen und Vorstellungen und erweitern womöglich unser Verständnis und unseren Horizont. Letztendlich darf sich die Kritik nicht ausschließlich an die Künstlerinnen selbst richten, sondern muss vor allem denjenigen gelten, die dafür sorgen, dass frauen- und queerfeindliche Strukturen im deutschen Rap aufrechterhalten werden.
(Emily Niklas & Lena Pinto)
(Grafik von Daniel Fersch)