Rap und Theater sind auf den ersten Blick nicht unbedingt Kulturformen, die man miteinander verknüpfen würde. Tatsächlich ist die Kombination dieser Elemente bis heute eine Seltenheit. Dabei haben beide Bereiche einige Ähnlichkeiten: spannende Geschichten, das Performen auf einer Bühne und natürlich der versierte Umgang mit Sprache. In diesem Frühjahr wurde das Theaterstück "Ferdinand" in Hamburg uraufgeführt. Für das Theaterstück produzierte der Hamburger Rapper Inspektah unter anderem mit seinem Produzenten mata nicht nur die Musik, sondern performt diese auch live auf der Bühne. Der Rapper zeigt, dass Rap und Theater durchaus fusionieren und sich sogar gegenseitig befruchten können. Wie das funktioniert, welche Hürden bei der Produktion eines Theaterstücks zu überwinden sind und warum Authentizität im Theater keine große Rolle spielt, haben wir in unserem Gespräch mit Inspektah besprochen.
MZEE.com: Du bist aktuell im Stück "Ferdinand" am Jungen Schauspielhaus in Hamburg nicht nur als Darsteller, sondern auch als Rapper zu sehen. Wie kam die Idee zustande?
Inspektah: Enrique Fiß, mit dem ich zur Schule gegangen bin, ist Schauspieler, zum Beispiel bei der Serie "Großstadtrevier". Seitdem wir zur Schule gegangen sind, macht der Theater. Wir haben damals zusammen in der Oberstufe gespielt, danach hatte ich tatsächlich nie wieder Berührungspunkte mit dem Theater. Enrique hat das aber voll durchgezogen. Vor ein paar Jahren hatte er zusammen mit dem Regisseur Alexander Klessinger die Idee für das Theaterstück "Ferdinand". Das Junge Schauspielhaus in Hamburg macht jedes Jahr eine Ausschreibung, bei der man sich bewerben kann, und wenn man die gewinnt, bekommt man eine Förderung, um dort ein Theaterstück zu produzieren. Darauf haben sie sich letztes Jahr beworben und sind auf die glorreiche Idee gekommen, das mit Rap zu kombinieren. Da Enrique mich aus der Schule kennt und Alexander meinen Song "Was ich mein" gezeigt hat, haben die mich angefragt, ob ich für das Stück Musik schreiben kann. Deswegen habe ich jetzt unter anderem eine "Was ich mein 2.0"-Version für das Theaterstück gemacht, weil ich eine Version brauchte, die ich auch allein ohne AC (Anm. d. Red.: Hamburger Rapper) performen kann. Dessen Refrain läuft im Theaterstück als Playback, aber die Parts sind live und ohne Mikrofon bei diesem Song. Es gibt nicht viele Atempausen, das ist ohne Mikro und Backup raptechnisch bisher meine größte Herausforderung gewesen. Aber zurück zur Entstehung: Ich hatte nach der Anfrage tierisch Bock drauf, denn ich freue mich immer, wenn ich mit Rap neue Sachen ausprobieren kann. Speziell für ein Theaterstück zu schreiben, habe ich vorher noch nie gemacht.
MZEE.com: Du sagtest bereits, dass du nach der Abi-Zeit nicht mehr am Theater warst. Hast du anderweitig mal als Schauspieler gearbeitet?
Inspektah: Ich habe am Ende der Schulzeit ein, zwei Sachen für Werbespots gemacht. Ich war in so einer Model-Kartei, denn ein guter Freund und ich wurden mit 15 oder 16 Jahren nach dem Schlittschuhlaufen angeschnackt. Ich habe dann Sachen für die Frankfurter Allgemeine oder die Bäckerei Junge hier in Hamburg gemacht, bei denen war ich eine Zeit lang auf den Plakaten. Mein Kollege ist danach tatsächlich auf dem Mailand-Laufsteg durchgestartet und war in Japan auf der Vogue. Der hat aber auch die Modelstatur, ich habe eher die Biertrinkerstatur. (lacht) Aber ansonsten hatte ich keine Berührungspunkte mit Theater und Schauspiel.
MZEE.com: Hol' uns doch noch mal kurz ab. Worum geht es denn in dem Stück "Ferdinand"?
Inspektah: Es geht um Ferdinand, den Stier, der ist ursprünglich aus einem spanischen Kinderbuch. Das wurde dort damals indiziert, weil es sich thematisch gegen Stierkampf richtet. Das Kinderbuch besteht aus nur 15 Seiten mit vielen Bildern und einzelnen Sätzen, das ist tatsächlich sehr wenig, um daraus ein Stück zu machen. Es gab dazu noch einen animierten Film, der die ganze Geschichte auf knapp 90 Minuten gestreckt hat. Unsere Ausarbeitung war primär die Arbeit von Enrique und Alexander, die aus dem 15-Seiten-Kinderbuch ein ganzes Konzept und Stück erarbeitet haben. In unserem Stück hält sich Ferdinand gerne an einer Eiche auf einer Wiese auf und beobachtet nachts die Sterne. Im Theaterstück ist nämlich gerade die Tauriden-Zeit. Die ist dann, wenn ein Komet die Umlaufbahn der Erde trifft und dadurch Sternschnuppen entstehen. Diese Sternschnuppen gehen genau durch den Stier (Anm. d. Red.: Gemeint ist das Sternenbild), deshalb spricht man von Tauriden. Enrique könnte das besser wiedergeben, der erklärt das im Stück in einem Monolog. Um zur Geschichte zurückzukommen: Am Ende landet Ferdinand in der Arena, obwohl er den anderen nur erzählen wollte, wie scheiße das ist, was da passiert. Wie es dann ausgeht, lasse ich mal offen. Für uns war wichtig, in Bezug auf das junge Publikum, dass man das Stierkampfthema behandelt und kombiniert mit Themen wie Leistungsgesellschaft und männliche Rollenbilder. Jungs "müssen" stark und kräftig sein und sich behaupten, solche Klischees wollen wir aus der Welt räumen.
MZEE.com: Du hast es eben bereits angesprochen: Für das Stück hast du zusammen mit mata ein Tape produziert, das wie ein Soundtrack funktioniert. Inwieweit seid ihr da anders an die Produktion rangegangen als bei euren sonstigen Projekten?
Inspektah: Es war sehr anders, denn normalerweise sitze ich im Studio und schreibe, was mir gerade einfällt. mata baut währenddessen einen Beat, wir nehmen auf und dann ist es fertig. (lacht) In diesem Fall hatten wir am Anfang nur ein grobes Skript zum geplanten Stück, woran wir uns orientieren konnten. An einigen Stellen war bereits klar, dass dort Songs kommen sollen, aber ansonsten habe ich eher auf Verdacht geschrieben. Es hieß erst, ich solle die Tracks im Probenzeitraum von sechs Wochen produzieren. Das wäre aber superknapp gewesen, deshalb habe ich dann vorab Druck gemacht, weil das so nicht für mich funktioniert hätte. Ich hätte spontan ein oder zwei benötigte Songs im Probenzeitraum nachlegen können, aber bestimmt nicht das ganze Stück musikalisch unterlegen. Ich habe während der Produktion schnell festgestellt, dass die Gefahr groß ist, inhaltlich in eine völlig falsche Richtung zu gehen. Darum habe ich vorgeschlagen, dass ich mit Alex und Enrique ins Studio gehe und die beiden mir Input geben hinsichtlich der konkreten Stimmung und Inhalte der Tracks. Die größte Herausforderung für mich war, dass es nicht cringe wird. Die Gefahr besteht immer, wenn man für so was Songs macht, dass es am Ende unangenehm wird. mata habe ich erst im späteren Verlauf dazugeholt. Das war ursprünglich nicht geplant und dafür mussten wir einiges dribbeln, denn das Junge Schauspielhaus hat strikte Vorgaben bezüglich der Bezahlung, wenn es über eine Förderung läuft. Da kannst du nicht einfach Leute mit reinnehmen, wenn kein Geld mehr da ist – aber mata war eine echte Bereicherung. Ursprünglich sollte Niklas Handrich die Produktion übernehmen, der ist als Theatermusiker dafür engagiert und hat das Stück toll untermalt. Der allererste von meinen Songs, "Kraftkerle", ist von ihm produziert, aber er ist ein Theatermusiker und kein Studioproduzent. Das verlängert die Arbeit im Studio im Vergleich zur Arbeit mit mata. Niklas kann unendlich viele Instrumente spielen und hat ein Gespür dafür, wie man Szenen richtig untermalt. Aber wenn du in deinem Leben noch nie HipHop-Beats gebaut hast, ist die Gefahr groß, dass die Beats zu simpel werden. Gerade, wenn man etwas für ein junges Theater-Publikum macht, muss das vergleichbar sein mit dem, was es normalerweise hört. Sonst ist es am Ende nur peinliches Gehampel, das versucht, deren Musikrichtung zu imitieren. Man kennt das aus etlichen Filmen und Werbungen, in denen Rap dann nichts mit richtigem Rap zu tun hat, sondern so klingt, wie wenn Oliver Pocher versucht zu rappen. Die ursprünglichen zehn Songs haben wir in drei oder vier Studio-Sessions fertig gemacht. Der Einfluss von Alex und Enrique hat aus mir noch mal etwas rausgekitzelt, bei dem ich selbst nicht wusste, dass es da ist. Das Gesamtprodukt spricht dann am Ende für sich und wir sind alle sehr happy damit.
MZEE.com: Hat sich denn die Live-Version des Soundtracks im Vergleich zur Studio-Version verändert?
Inspektah: Der Track "Kette" ist kürzer im Stück, der hat nur einen Part. Ansonsten sind es eher kleine Änderungen: "Tauriden" ist anders arrangiert, damit es mit dem Schauspiel zusammenpasst. Teilweise sind die Lieder so, dass in der Mitte noch eine Szene kommt, und dann geht der Song weiter. Das sind dann eher kurze Szenen, sodass das ein bisschen wie ein Skit innerhalb des Tracks wirkt. Das macht es im Theaterstück viel cooler, weil es dann nicht dieses Song-Spiel-Song-Spiel-Schema ist, sondern fließend ineinander übergeht. Inhaltlich hat sich aber nichts verändert.
MZEE.com: Hast du den Eindruck, dass Rap auf einer Theaterbühne anders wahrgenommen wird, wenn ihr ein jüngeres Publikum ansprecht?
Inspektah: Wir hatten auch klassisches Theaterpublikum bei ein paar Wochenendvorstellungen, da war der Anteil der Kinder deutlich geringer. Es wird anders wahrgenommen, weil dieses klassische Publikum so etwas nicht erwartet. Das Theaterstück fängt direkt mit dem ersten Song an, dabei gab es schon mehrfach die Situation, dass im Theater Applaus und Jubel wie bei einem Konzert stattfanden. Das ist auch von unserem Regisseur so gewollt, dass es eine Mischung aus Konzert und Theaterstück wird. Dementsprechend überrascht und geflasht sind die Leute dann nach dem ersten Song, der eben live performt wird. Es ist laut und knallt, das ist nicht auf Zimmerlautstärke. Damit es nicht so wirkt, als würde ich da nur so vor mich hin rappen.
MZEE.com: Glaubst du, es überrascht Leute, was Rap im Theater alles vermitteln kann?
Inspektah: Unter der Woche haben wir nur Schulklassen und deren Lehrer:innen im Publikum, die waren immer sehr begeistert. Wir hatten echt Sorge, weil das Stück inhaltlich nicht einfach zu verdauen ist. Wir haben es nicht so blümchenhaft gemacht, wie es in dem Zeichentrickfilm ist. Das Kinderbuch ist da schon näher an uns dran. Es gibt im Theaterstück eine Szene, in der Enrique – er hat spanische Wurzeln – von persönlichen Erfahrungen berichtet. Er sagt dann, dass nicht mehr seine Rolle spricht, sondern er als Person, und erzählt, wie er mit seinem Vater und seinem Opa bei einem Stierkampf war und wie das wirklich abläuft, wie blutig und traurig das ist. Da wird nichts beschönigt, deshalb hatten wir die Sorge, dass es aus pädagogischer Sicht zu hart für Kinder ist. Aber dem ist überhaupt nicht so. Wir haben danach mit den Kindern auch immer ein Nachgespräch und es ist bisher nie so gewesen, dass irgendwer davon schockiert war. Ich glaube, heutzutage sehen die Kids im Internet sowieso viel schlimmere Sachen. Demnach ist die harte Realität nicht zu viel für sie und es wirkt auch immer so, als würden die Kinder die Message alle verstehen.
MZEE.com: Könntest du dir denn daran anknüpfend vorstellen, Rap und klassisches Theater zu verbinden? Oder ist das eventuell schwieriger bezüglich der Zielgruppe?
Inspektah: Nö, überhaupt nicht. Ich würde behaupten, da ist jetzt nur ein einziger Song dabei, den ich wirklich primär für Kinder geschrieben habe.
MZEE.com: Welcher?
Inspektah: (rappt) "Bist du dabei, fühlst du das auch? Alle zusammen …" – Ferdinand träumt immer davon, dass alle gemeinsam auf seiner Wiese eine große Party feiern. Wenn er in die Arena kommt, sieht er im ersten Moment nur, wie die Menschen alle Spaß haben und denkt, dass das seiner Utopie entspricht. Hier gibt es aber einen krassen Bruch, direkt zuvor kommt die Stelle, bei der Enrique erklärt, was Stierkampf eigentlich ist. Dann folgt dieser Partysong "Arena" und das Publikum steht tatsächlich jedes Mal auf und feiert mit. Im nächsten Moment geht dann aber der Stierkampf los. Alle sind gut drauf und merken plötzlich, während sie gerade feiern, dass Ferdinand in der Arena abgeschlachtet wird. Das ist eine Art Schockmoment, bei dem auffällt, wie leicht man Leute davon überzeugen kann, irgendwas abzufeiern, nur weil es gute Laune macht und ein Party-Feeling vermittelt.
MZEE.com: Das ist ein Klassiker, wenn jemand auf einer Bühne zu etwas auffordert und im Publikum automatisch fast alle mitmachen. Fatoni hat das mal mit einem Frage-Antwort-Spiel, bei dem dann vereinzelt "Hitler" gerufen wurde, auf die Spitze getrieben.
Inspektah: Sehr makabere Methode, den Leuten das so vorzuführen. Solange er einordnet, warum er das gemacht hat, ist es gut. Da gehe ich bei Fatoni aber von aus. Um auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen: Ich kann mir gut vorstellen, das auch für Erwachsene zu machen. Natürlich könnte ich bei Erwachsenen noch mehr meine eigene Sprache nutzen. Ich verzichte sowieso auf politisch inkorrekte Sprache, aber ich könnte dann zum Beispiel vulgäre Ausdrücke eher einbauen. Darauf habe ich bei diesen Songs komplett verzichtet, abgesehen von "Was ich mein 2.0", weil der eine Part schon existierte und da sage ich nun mal: "Fick' nicht meinen Kopf!" Aber dazu hat noch nie eine Lehrkraft nach einer Vorstellung gesagt, dass das problematisch wäre. Seit diesem Jahr arbeite ich als Sportlehrer nachmittags an Grundschulen in Bezirken wie Billstedt und Jenfeld. Wenn du im Vergleich hörst, was die Kinder in der ersten und zweiten Klasse zueinander sagen, ist dieser Satz nicht problematisch. Die dürften witzigerweise noch nicht mal in unser Stück rein, weil das erst ab zehn Jahren ist. Da hilft es dann eher dabei, dass die mir zuhören, wenn sie merken, dass ich eine ähnliche Sprache benutze.
MZEE.com: Wo liegt für dich der Unterschied, als Rapper oder Schauspieler auf der Bühne zu stehen?
Inspektah: Als Darsteller habe ich eine Rolle, auch wenn ich mich in dem Theaterstück irgendwie selbst spiele. Aber ich habe klare Verhaltensvorgaben von meinem Regisseur. Das war für mich gewöhnungsbedürftig, Tracks nicht so zu performen, wie ich sie gerade fühle, sondern bestimmte Laufwege einzuhalten. Ich habe mich am Anfang immer umgedreht und bin weggegangen, wenn ich einen Song beendet habe. Alex meinte dann: Das kannst du nicht machen. Man muss die Spannung im Körper behalten, das Geschehen im Blick haben und rückwärts weggehen. Ich habe das so ernst genommen, dass ich angefangen habe, nur noch rückwärtszulaufen. Mittlerweile bin ich ein Profi darin. Das Bühnenbild ist die Arena – ein Kreis aus Holzbalken und innen drin ist Sand – und ich kann mittlerweile genau abschätzen, wann die Holzbalken kommen, um da rückwärts drübersteigen zu können. Nicht mal meine Freunde hätten gedacht, dass ich das schaffe, ohne auf die Schnauze zu fallen. (lacht) Es ist auf jeden Fall etwas anderes, im Theater zu rappen. Wenn du in irgendeiner Spelunke auf der Bühne stehst und irgendwas "Falsches" rappst, fällt das keinem Schwein im Publikum auf. Solange du halbwegs freestylen kannst oder einen anderen Part rappst. Im Theaterstück funktioniert das nicht, denn das Gesagte muss zur Szene passen. Da ist in gewisser Weise ein anderer Druck da. Nach der ersten Aufführung war der weg, und jetzt freue ich mich einfach auf die Auftritte. Denn es ist schön und macht supergute Laune, etwas für Kinder zu tun und im Nachhinein mit denen zu reden. Ein weiterer Unterschied ist die Interaktion mit dem Publikum, denn die fällt weg und man bleibt in seiner Rolle. Es ist kontrollierter als bei einem Auftritt, bei dem ich in der Regel gar nichts plane. Ich kann meine Texte und dann passiert, was eben auf der Bühne passiert. Es ist sehr spontan und aus der Emotion heraus.
MZEE.com: Da du die Texte für "Ferdinand" anders geschrieben hast, könntest du dir trotzdem vorstellen, die in deinen eigenen Liveshows zu spielen?
Inspektah: Eher nicht. Aber weniger, weil die Songs mir nicht schmecken. Ich bin damit sehr happy und performe die gerne live im Theater, doch die sind sehr an die Geschichte gebunden. Deswegen haben wir bei dem Tape, das wir dazu gedroppt haben, immer kleine Skits eingebaut. Damit das eingebettet ist und man die Story versteht. Wenn ich zum Beispiel "Kraftkerle" auf der Bühne performen würde, nähme das jede:r ernst. Deshalb kann ich den Song nicht auf "meiner" Bühne performen. Ich stehe nicht für das, was in "Kraftkerle" gesagt wird, denn der Track repräsentiert ein Klischee, das wir im Theaterstück bis zum Ende immer weiter aufbrechen. Die Leute würden sich dann berechtigterweise fragen, wer der Kek da oben ist. (lacht)
MZEE.com: Authentizität spielt im Rap eine große Rolle. Theater muss zwar überzeugend sein, aber nicht zwingend authentisch. Wie blickst du denn auf den Begriff in den beiden Kulturformen?
Inspektah: Beim Theater musst du authentisch deine Rolle spielen. Das tun heutzutage auch viele Musiker:innen, die spielen etwas authentisch, das dann mit richtiger Authentizität gleichgesetzt wird. Ich bin niemand, der sagt, man darf nur rappen, wenn man authentisch ist. Es gibt viele witzige nicht-authentische Rap-Formen, wie zum Beispiel Glorb, so einen Ami, der macht Spongebob-Rap und daraus riesige Geschichten. Das hat inhaltlich schon eher einen Theater- und Schauspielcharakter, weil es szenisch angepasst ist. Ich finde aber, wenn man sich als authentisch ausgibt, dann sollte man das auch sein. Dann sollte man darauf achten, was man letztendlich sagt. Aber wenn klar ist, dass jemand eine Rolle für die Musik mimt, finde ich das völlig legitim.
MZEE.com: Deshalb war es wahrscheinlich etwas komplett anderes für dich, Musik für das Theaterstück zu schreiben.
Inspektah: Es war das erste Mal, dass ich nicht für mich selbst authentische Musik gemacht habe. Obwohl ich sagen muss … Abgesehen von "Arena" und "Kraftkerle" sind die Songs auch authentisch für mich, denn viele Inhalte davon fühle ich. Mir war es beim Schreiben wichtig, dass es trotzdem "meine" Tracks sind. Damit ich dahinterstehen kann, weil die nach mir klingen und meine Note tragen.
MZEE.com: Apropos "Kraftkerle". Darin sagst du: "Hindern dich Gefühle, schieb sie ganz einfach beiseite." – Ihr brecht im Stück mit männlichen Rollenbildern. Wie blickst du auf dieses Thema in der Theater- beziehungsweise Rapszene?
Inspektah: Da gibt es sehr viel, das sich verändern sollte. Das schließt an das Thema Authentizität an. In dem Moment, in dem man keine Rolle spielt, ist es umso wichtiger, dass Inhalte vertretbar sind. Damit meine ich jetzt nicht zwingend, dass man auf vulgäre Sprache verzichtet, aber ich finde, dass es an der Zeit ist, auf bestimmte Sachen zu verzichten. Sexismus ist immer noch megagroß im Rap. Man kann heutzutage als nicht sexistisch wahrgenommen werden, obwohl man noch immer solche Musik macht. Denn es gibt so extrem sexistische Musik, dass Lines wie "Die Bitch will sich mit mir treffen, aber ich gehe nicht ans Telefon ran" im Vergleich nicht als sexistisch wahrgenommen werden. Natürlich ist das eine problematischer als das andere, doch am Ende greift das immer in dieselbe Schublade: Die Frau stellt ein Objekt dar, das nur benutzt wird, wenn ich gerade Bock drauf habe. Das ist extrem problematisch. Gewalt und Homophobie sind ebenso problematisch. Ich finde es legitim, wenn man von der Straße kommt und Straßenmusik macht, dass man das nicht komplett ausradieren kann. Wenn ein 19-Jähriger vom Kiez andauernd "F*tze" in seinen Songs sagt, finde ich das nicht so problematisch, wie wenn derselbe Typ zehn Jahre später vor mir steht und immer noch dieselbe Musik macht. Klar kann es sein, dass der sich zehn Jahre später immer noch in denselben Kreisen bewegt. Aber viele machen es nur weiter, weil es sich gut verkauft, und nicht, weil man immer noch in dieser Bubble gefangen ist, in der dieses Vokabular fest verankert ist. In Bezug auf meine Textzeile sind viele dieser Aussagen auch eine Form des Beiseite-Schiebens. Man tut so, als könne man diese Inhalte rechtfertigen, weil es sich gut verkauft und man damit aufgewachsen ist. Nach dem Motto: "Das macht ja jede:r und ich muss irgendwie Geld verdienen." Das ist aber in anderen Lebensbereichen ähnlich, wenn ich zum Beispiel für einen Großkonzern arbeite. Man muss sich die Frage stellen, ob man für ein Unternehmen wie Nike, das seine Schuhe von Kindern produzieren lässt, oder lieber für einen Fairtrade-Kleidungshersteller arbeiten will. Hier schiebt man seine Emotionen oft beiseite, weil man Geld als wichtig empfindet und überleben will. Das kann dann am Ende dazu führen, dass man diese moralischen Werte völlig verliert. Aus dem ewigen Rechtfertigen wird dann ein Legitimieren. Das ist mit falschen Vorbildern in der Musik wie mit falschen Vorbildern in der Arbeitswelt.
MZEE.com: Was nimmst du künstlerisch von diesem Projekt mit?
Inspektah: Aus solchen Projekten nimmt man immer etwas mit, denn man lernt neue Sachen dazu. Es ist ein endloser Trainingsprozess in Bezug auf Rappen und Musik. Ich bilde mich stetig weiter und profitiere davon, ohne das bewusst wahrzunehmen. Musikalisch wird es immer sehr raplastig bleiben. Singen liegt mir nicht, selbst mit Autotune kann ich das nicht so gut. (lacht) Ich habe seit "Ferdinand" aber überlegt, ob ich mir vielleicht ein zweites Alter Ego zulege, mit dem ich gezielt Rap für Kinder mache. Obwohl ich glaube, dass meine aktuellen Sachen sowieso kindgerecht sind. Das Einzige, was ich schwierig für Kinder finde, ist das Kiffen – und selbst darüber rede ich mittlerweile sehr wenig. Am Ende denke ich mir, wenn ich mit 12 bis 13 Jahren den "Arschficksong" von Sido gehört habe, dann ist meine Musik vergleichsweise sehr unproblematisch. Deshalb mache ich einfach weiter wie bisher und bin für alle Altersgruppen zugänglich. Wenn ich über deepere Themen rede, holt das ein Kind nicht so doll ab wie jemanden, der dieselben Struggles hat. Aber wenn man harten Rap hören will, der nach vorne geht, gibt es bei mir auch etwas zu finden. Bei den Kids geht es meistens um "Rap-Rap". Das kann ich ganz gut, ohne dass ich mich überflüssiger Sprache bediene, die längst ausrangiert sein sollte.
MZEE.com: Wir haben den Song "Was ich mein 2.0" schon mehrfach angesprochen: "Hör' auf dir zu sagen, du hast kein Talent." – Was würdest du Menschen mitgeben, die sich nicht trauen, ihre Leidenschaft künstlerisch auszuleben?
Inspektah: Trainieren. Ich habe früher viel Fußball gespielt, obwohl ich kein Talent hatte. Irgendwann konnte ich aber so gut spielen, dass ich selbst damit zufrieden war, meine Tore geschossen habe und einen Mehrwert für mein Team darstellte. Mit Rap war das nicht anders. Ich war scheiße schlecht am Anfang. Wenn ich euch meine ersten Sachen zeigen würde … Das war nicht nur inhaltlich eine Katastrophe, sondern auch raptechnisch. Eine gute Freundin von mir, Lia Şahin, hat mal zu mir gesagt: "Wenn man in irgendwas Meister sein will, muss man das einfach nur 1 000 Stunden gemacht haben." Wenn du das ernsthaft machst, wirst du auch ein Level erreichen, das dir selbst genügt, und darum geht es in dem Song. Am Ende ist wichtig, dass es dich glücklich macht und du ein Level erreichst, das dir Spaß macht. Das i-Tüpfelchen ist dann natürlich, wenn du damit Erfolg hast. Aber am Ende machst du das, weil du Bock drauf und Spaß daran hast.
(Alec Weber & Malin Teegen)
(Fotos von Niklas El-Mahdi, whatsupnini & What's poppin pictures)