Wer im Hamburger Stadtteil St. Pauli durch die Silbersackstraße läuft, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auf mehrere Dutzend 8- bis 14-Jährige treffen, die sich auf einem Sportplatz gegenseitig Pratzen hochhalten, Boxtechniken üben oder an ihrer Ausdauer arbeiten. Mittendrin: Rapper und St. Pauli-Urgestein Reeperbahn Kareem. Täglich trainiert er hier für mehrere Stunden Kinder und Jugendliche in verschiedenen Kampfsportarten. Dabei geht es jedoch nur in zweiter Linie darum, das nächste große Boxtalent zu entdecken. Vielmehr ist das Training Teil eines sozialen Projekts, der Silbersack Hood Talentförderung. Gemeinsam mit seiner Schwester Nassy Ahmed-Buscher hat Kareem 2021 das gemeinnützige Unternehmen gegründet, mit dem er Kinder und Jugendliche auf St. Pauli fördern und ihnen eine Perspektive abseits des oft problembehafteten Alltags aufzeigen will. Zum Programm gehören neben dem "Silbersack Hood Gym" mittlerweile auch Bildungsangebote wie Sprachförderung, Musikworkshops und Kunstkurse. Reeperbahn Kareem ist heute nicht nur Rapper, sondern auch Sozialarbeiter. Im Interview berichtete er von den besonderen Herausforderungen bei der Arbeit mit Kindern im sozialen Brennpunkt, der Rolle von Sport und Rap dabei und davon, wie ihn die Arbeit auch selbst verändert.
MZEE.com: Du bist gewissermaßen ein Urgestein in deinem Kiez. Kannst du uns zum Einstieg das Leben auf St. Pauli mit drei Worten beschreiben?
Kareem: Schnell, laut und extrem.
MZEE.com: Extrem im positiven oder negativen Sinn?
Kareem: Beides. Alles ist hier extremer. Tiefpunkte und Höhepunkte. Extreme Trauer, extremes Glück, extreme Emotionen.
MZEE.com: Vor etwa drei Jahren haben deine Schwester und du Silbersack Hood gestartet, ein soziales Projekt für Kinder und Jugendliche auf St. Pauli. Wie kamt ihr auf diese Idee?
Kareem: Das war eher zufällig. In der Corona-Zeit konnte man nicht in Vereinen oder Fitnessstudios trainieren. Mein Bruder BOZ, der auch Rapper ist, meinte zu mir, ich sei ganz schön fett geworden und müsse mehr Sport machen. Also sind wir mit Pratzen, Handschuhen und ein paar Leuten zum Sportplatz gegangen und haben für uns trainiert. Irgendwann kam ein kleiner Junge dazu und hat mitgemacht. Mein Kollege Aaron hat eine Instagram-Story gepostet und alle eingeladen, die auch Bock darauf haben. Erst kam das ganze Viertel zum Training und später ist ganz Hamburg darauf aufmerksam geworden. Es wurden immer mehr Kinder. Menschen haben uns Equipment gespendet oder uns einfach Geld in die Hand gedrückt, damit wir es selbst kaufen können. Irgendwann hat meine Schwester mitbekommen, dass ein ernsthaftes Ding daraus werden könnte. Während ich jeden Tag auf dem Sportplatz war, hat sie es im Hintergrund in die Hand genommen und ein soziales Unternehmen daraus gemacht. So ist Silbersack Hood entstanden.
MZEE.com: Du hattest also gar nicht unbedingt geplant, einmal ernsthaft soziale Arbeit in deiner Heimat zu machen. Aus einer spontanen Idee ist eine Bewegung und später ein richtiges Projekt entstanden.
Kareem: Ja, genau. Keiner von uns hätte anfangs geglaubt, dass so etwas daraus entstehen kann. Irgendwann haben wir neben dem Sport auch noch mit Nachhilfe und HipHop-Kursen angefangen. Mein Bruder und ich haben schon länger Open Mic-Abende veranstaltet, die sind dann auch noch mit unserem Projekt verwachsen. Wenn ich aber darüber nachdenke, war ich eigentlich schon länger sozial aktiv, auch ohne unser Unternehmen. Ich hatte schon immer eine Ader dafür, mich mit Problemen von anderen hier im Kiez zu beschäftigen und mich durch Rap für meine Stadt einzusetzen. Zu Beginn meiner Karriere hat mich nur St. Pauli interessiert und ich habe alles andere gehated. Ich habe nicht gecheckt, wie HipHop uns ermöglicht, uns gegen etwas Größeres zusammenzuschließen, gegenüber dem wir sonst machtlos wären. Später kam diese Einsicht. Unser soziales Projekt hilft mir, in dieser Hinsicht noch viel mehr zu bewirken als früher.
MZEE.com: Was sind das für Kinder und Jugendliche, die zu euch kommen?
Kareem: Wir sind hier mitten auf dem Kiez – Hamburg St. Pauli. Wenn du in unserem Viertel die Straße hochgehst, findest du einen Straßenstrich mit Prostituierten. Wenn du rechts abbiegst, ist da ein Drogenstrich. Was soll ich sagen? Es gibt hier Kriminalität und zerrüttete Familien. Die Kinder wollen sich nicht in Sportvereinen anmelden und sind nicht gerade die diszipliniertesten Schüler. Anfangs war ich sehr leistungsbezogen, was unser Training angeht, aber damit kommst du bei diesen Kids nicht weit. Wobei ab und zu krasse Talente dabei sind. Die Umstände sind hier aber zu schwierig, um ein Zentrum für Leistungssport daraus zu machen. Es ist eben ein soziales Projekt. Ich kenne die Eltern, die Onkels, die Tanten und die Cousins der Kids und habe einen Einblick in ihren Werdegang. Mit Sport kann man diesen vielleicht ein bisschen mitlenken, aber es geht mehr um das Soziale als um Training. Du bekommst auf dem Sportplatz mit, wer mit wem Stress hat, wo es einen Sterbefall gab und was sonst noch so in ihrem Leben passiert.
MZEE.com: Sind die Probleme der Kinder und Jugendlichen heutzutage noch dieselben wie damals, als du in diesem Alter warst?
Kareem: Ja, das ist schon sehr ähnlich. Ich kenne viele Kids, denen es genauso geht wie mir früher. Die sind schwer zu greifen und haben keinen Bock auf irgendwas. Auf der Straße zu sein ist einfacher, als sich zu irgendetwas zu motivieren, ich kenne das. Ich habe sehr früh Gras geraucht. Wir waren kriminelle Jungs und haben das Leben genossen. Wir wollten Mädels klarmachen, aber hatten keinen Plan von der Welt, kein Geld und waren irgendwie verloren. Aber wenn es in meiner Jugend so ein Thai- oder Kickbox-Projekt gegeben hätte, hätte ich das derbe gefeiert.
MZEE.com: Du hast vorhin schwierige familiäre Umstände bei vielen Teilnehmenden an deinem Projekt erwähnt. Wie war das Verhältnis zu deinen Eltern als Jugendlicher?
Kareem: Das war auch zerrüttet und schwierig. Mein Vater war nicht mehr da. Meine Mutter war immer da und ich habe bei ihr gewohnt, bis ich 19 war. Für eine alleinerziehende Mutter ist es aber nicht so leicht. Sie hat viel gearbeitet und war dann abends immer sehr müde. Dadurch hatten wir nicht das innigste Verhältnis oder viel Austausch. Es war einfach eine schwierige Zeit für meine Familie. Teilweise sind auch traumatische Sachen passiert. Vieles habe ich einfach von mir weggeschoben und mir meine eigene kleine Welt geschaffen.
MZEE.com: Umso schöner, dass du Kids, denen es ähnlich geht, heute helfen kannst.
Kareem: Ja, so ist es. Man kann immer ein bisschen helfen, auch wenn es oft nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Wir haben es hier echt mit schwierigen Geschichten zu tun, bei denen du wirklich hilflos bist, nur zugucken kannst und dir nichts mehr bleibt, außer die Leute in den Arm zu nehmen und zu trösten. Es gibt so viele heftige, krasse Schicksale und wirklich aussichtslose Biografien hier. Daran sieht man erst, wie gut man es gehabt hat und dass man selbst doch nicht so verloren war, wie man dachte.
MZEE.com: Wie gehst du mit solchen Momenten oder Schicksalen um, bei denen du selbst nicht mehr weiterweißt?
Kareem: Hier passieren so viele herzzerreißende Geschichten, das kannst du in keinem Film erzählen. Da brauchst du ein dickes Fell, denn manches kann man selbst nur schwer verarbeiten. Seit ich dieses soziale Projekt mache, gehe ich auch anders mit solchen Problemen um. Ich stehe jetzt den Menschen hier gegenüber auch in einer gewissen Pflicht. Früher hatte ich nicht mal ein Bankkonto und war nirgendwo gemeldet. Ich war gegen alle Institutionen und einfach ein Linker aus St. Pauli. Ich habe bis heute eine ziemliche Entwicklung gemacht und übernehme mehr Verantwortung. Mittlerweile generiere ich monatlich genug Geld, um meine Miete zu zahlen. Ich kann mir nicht alles leisten, aber für meine Verhältnisse ist es krass nach vorne gegangen. Darauf bin ich stolz. Deshalb will ich jetzt anderen helfen, die sich selbst schon aufgegeben haben. Es sind Gottes Pläne. Ich habe nicht gesagt, dass ich jetzt sozial aktiv werde und Kinder trainiere. Das ist mir irgendwie zugeflogen.
MZEE.com: Die Rapperin CHAN LE sagte im Interview: "Kampfsport vermittelt essenzielle Werte wie Durchhaltevermögen, Disziplin, Respekt und Bescheidenheit. Du lernst außerdem, dein Ego beiseitezulassen. Man kann viel daraus auf andere Bereiche des Lebens übertragen." – Entspricht das auch deinen Erfahrungen?
Kareem: Ja, zu 100 Prozent. Nach ein paar Monaten siehst du, wie die Kids in der Gruppe angekommen sind und im Sport aufgehen. Das ist wirklich etwas Besonderes für mich. Kampfsport hilft auch Leuten, die kein Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein haben. Beim Boxen ist es so, dass eher die Fleißigen gewinnen als die Talentierten. Es ist wichtig zu lernen, dass Erfolgserlebnisse kommen, wenn du fleißig bist.
MZEE.com: Mittlerweile habt ihr sogar Nachhilfe im Programm. Kommen solche Angebote auch gut bei den Jugendlichen an?
Kareem: Am Anfang lief das mit der Nachhilfe nur nebenbei. Einige der Leute beim Kampfsport hatten so eine schlechte Rechtschreibung und haben so schlecht Deutsch gesprochen, dass ich sie zu Nachhilfe gezwungen habe. Später hat meine Frau das in die Hand genommen und mit Silbersack Hood Bildung eine eigene Sparte daraus gemacht. Aus der Nachhilfe ist mittlerweile eher eine Sprachförderung geworden, weil wir gemerkt haben, dass wir da mehr machen müssen. Wie beim Training ist auch hier die Herausforderung, dafür zu sorgen, dass die Kinder länger dabeibleiben. Es gibt viele, die kommen zwei Wochen lang und dann wieder eine Weile nicht mehr. Dafür gibt es auch ein paar, die sich niemals davon abbringen lassen. Beim Boxen hatten wir mal ein richtiges Talent dabei, Miles Okay. Den haben wir mit 14 Jahren auf dem Sportplatz entdeckt und zu einem krassen Verein gebracht. Der gehört jetzt zum Bundeskader des deutschen Boxverbands. Aber bei anderen muss man eben auch mal streng sein und rumschreien.
MZEE.com: Es klingt, als sei bei deiner Arbeit manchmal ein harter Umgangston gefragt.
Kareem: Ja, auf jeden Fall. Es ist ein hohes Stresslevel, aber ich habe mir mittlerweile ein krasses Nervenkostüm zugelegt. Es dauert jetzt länger, bis ich aus der Haut fahre. Aber wenn, dann wird auch mal richtig geschrien. Man darf das aber nicht falsch verstehen. Bei uns herrscht ein anderer Umgangston als überall sonst, auch zwischen Erwachsenen. Manchmal kommen ein paar Typen und pissen auf den Fußballplatz. Ein "Entschuldigen Sie, könnten Sie bitte damit aufhören?" funktioniert bei den Kindern auf St. Pauli nicht. Die beleidigen dann deine Mutter. Deswegen habe ich teilweise krasse Streitgespräche mit ihnen. Wir sind oft stundenlang zusammen und jeder testet dabei konstant seine Grenzen aus. Trainer haben bei uns deshalb schon ein schweres Los. Aber ich habe mittlerweile gute Mittel, um mich durchzusetzen, und sage ihnen, dass ich sie längst durchschaut habe und sie ihre Faxen bei mir gar nicht erst probieren sollen.
MZEE.com: Hat dir dein Status als Rapper geholfen, zu den Jugendlichen durchzudringen und dir ihren Respekt zu erarbeiten?
Kareem: Es ist sicher Fakt, dass ich niemals so einen Status bei den Kids hier auf St. Pauli hätte, wenn ich nicht rappen würde. Die sind wahrscheinlich alle Rapfans. Es hat aber auch damit zu tun, dass wir uns hier alle kennen. Insbesondere deren Eltern und ältere Brüder wissen, wer ich bin. Viele hier sind aus Roma und Sinti-Familien und haben sehr junge Eltern. St. Pauli ist eine kleine Welt und wenn du hier zur Schule gegangen bist, kennst du alle.
MZEE.com: Rap ist bei Jugendlichen in Deutschland seit Jahren das beliebteste Musikgenre. Die Ursprünge der Kultur liegen zudem eigentlich im Bekämpfen sozialer Missstände. Nur wenige Artists machen jedoch abseits der Musik mit Projekten wie deinem auf sich aufmerksam. Findest du, die Szene verschwendet Potenzial, auf sozialer Ebene viel zu bewirken?
Kareem: Dazu kann ich dir ganz viel sagen. Erstens ist es in meinen Augen immer schon so, dass HipHop ausgebeutet wird. Sobald etwas Mainstream wird, wird es ausgebeutet, weil gefuchste, ekelhafte Menschen kommen und daraus Kapital schlagen. Für mich ist die Message das, was Rap ausmacht und besonders macht. Rap ist für die Leute, die nicht ins Fernsehen oder Internet gehen können, um ihre Meinung zu sagen und gehört zu werden. Durch Rap können sie sich ausdrücken und eine unzensierte Stimme von unten bilden. So habe ich das immer wahrgenommen. Die Wahrheit ist aber, dass nicht alle das so sehen. Die meisten Rapkünstler sind, wie die meisten Menschen allgemein auch, sehr egoistisch. Die lehnen sich zwar auch gegen das Establishment auf, aber nur aus ihrer eigenen Perspektive. Ich bin schon so lange dabei und kann dir sagen, dass sich viele Rap-Künstler viel zu ernst nehmen. Ich kenne einige, die gescheiterte Existenzen sind, weil sie so ein hohes Bild von sich selbst haben und gleichzeitig ständig die Angst, dass ihr Bild in der Öffentlichkeit bröckelt. Dann bröckelt es auch von innen und sie werden derbe unglücklich. Es wirkt ungerecht, dass oft die Leute ohne Message im Rap so eine krasse Reichweite haben. Ich sehe das aber nicht mehr so, denn wir können das sowieso nicht beeinflussen. Jeder trägt sein Päckchen für sich und hat mit seinen Sachen zu kämpfen. Der eine sagt, er sei der krasseste Gangster, und wird dann von 20 richtigen Gangstern gejagt. Es ist überall so, egal, ob in Frankreich, England oder Amerika. Das ist kein Deutschrap-Problem. Es gibt überall Blender und Bluffer, die sich an der Kunst bereichern, und Kapitalisten, die den Scheiß bis zum Ende ausschlachten.
MZEE.com: Wer deine Musik kennt, weiß, dass du darin eigene Erfahrungen aus dem Kiez verarbeitest. Ist die Sozialarbeit für dich mittlerweile ein ähnliches Ventil wie HipHop und verändert nicht nur das Leben der Kinder, sondern auch dein eigenes?
Kareem: Es hat mein Leben unendlich verändert. Es hat auch meinen Rap verändert. Ich überlege mir jetzt fünfmal, was ich schreibe. Als hier rund um das Silbersack-Ding ein Hype entstanden ist, habe ich mich im Rap derbe zurückgehalten. Ich habe gemerkt, dass viel falsch verstanden wird und mir Wörter im Mund umgedreht werden. Die meisten Kinder waren noch zu jung und haben Lines nicht so verstanden, wie ich sie eigentlich gemeint habe. Das war eine Zeit lang mein Problem mit dem Rap, aber jetzt gehe ich langsam wieder zurück zu mehr Aggro- und Battle-Kram.
MZEE.com: Wir leben in Zeiten eines politischen Rechtsrucks, wie das Erstarken von Parteien wie der AfD zeigt. Inwiefern beschäftigt das auch dein Umfeld und die Menschen, mit denen du arbeitest?
Kareem: Das merke ich hier noch nicht so krass. Was man aber in Brennpunkten wie St. Pauli, Billstedt oder Osdorf merkt, ist, wie allgegenwärtig Diskriminierung unter Kindern und Jugendlichen ist. Und zwar nicht von Deutschen gegenüber Ausländern. Hier sind Deutsche die Minderheit und werden ausgegrenzt, so ist das leider. Wenn die AfD das hier sehen würde, würden die ausflippen und jeden Tag mit Kameras kommen und filmen. Ich bin auch so aufgewachsen. In meiner Klasse waren zwei Deutsche. Die hatten es richtig schwer, obwohl es eigentlich coole Jungs waren. Die Welt ist einfach überall gefickt. Wenn du aufs Dorf gehst, hast du es als Ausländer nicht leicht. Wenn du in einer Großstadt in der falschen Nachbarschaft landest, hast du es als Deutscher nicht leicht. Die Diskriminierung ist derbe krass. Gerade dort, wo die Leute ungebildet sind, sind sie sehr zugänglich dafür. Als die ersten Ukrainer nach dem Kriegsbeginn hier bei uns waren, kamen Sinti- und Roma-Kinder zu mir und meinten: "Was machen die hier? Die sollen nicht auf unseren Sportplatz kommen, die sollen zurück in die Ukraine." Du denkst dir natürlich, dass der Junge mit neun Jahren gar nicht weiß, wovon er redet, aber woher kommt dieser Hass in seiner Stimme? Fremdenfeindlichkeit ist einfach in ganz Europa ein großes Problem. Das all diese Dinge auch in Deutschland passieren, ist aufgrund unserer Geschichte natürlich eine Ohrfeige.
MZEE.com: Wie reagierst du in solchen Fällen, in denen du merkst, dass auch Kinder bereits derartigen Hass in sich tragen?
Kareem: Man muss natürlich mit ihnen darüber reden und die Dinge ganz ruhig erklären. Wobei du in den eigentlichen Momenten nie direkt zu ihnen durchkommst, egal, wie sehr du Recht hast und wie gut du erklärst. Das ist immer ein längerer Prozess. Die brauchen ein bisschen, um zu checken, was für eine Scheiße sie angerichtet oder gesagt haben. Dann musst du ihnen auch die Chance geben, Taten folgen zu lassen. Es darf nicht nur Gerede bleiben, die müssen durch ihr Verhalten zeigen, dass wir alle eine Einheit sind. Keiner will doch gerne vor Krieg flüchten. Jetzt schreien hier manche Familien: "Wir sind keine Flüchtlinge, wir sind als Gastarbeiter gekommen!" Es gibt also scheinbar schon Ausländer erster und zweiter Klasse. Diskriminierung hat tausend verschiedene Gesichter und man muss wirklich von A bis Z Aufklärungsarbeit leisten. Es lässt sich aber nicht jeder belehren. Manche sind stur, dickköpfig und leider auch ungebildet und dumm. Das sind die Umstände, mit denen ich zu kämpfen habe. Natürlich sind nicht alle so.
MZEE.com: Siehst du dich selbst als Sozialarbeiter oder würdest du deine Rolle anders definieren?
Kareem: Die Sozialarbeiter vom Jugendhaus bei uns sagen, ich wäre der krasseste Sozialarbeiter. (lacht) Es gibt aber auch welche, die richtig sauer werden und ausflippen, weil ich das nicht gelernt oder studiert habe. Aber das sind eher Außenstehende, die mich noch nie bei der Arbeit gesehen haben. Ich selbst sehe mich als Sozialarbeiter. Ich laufe durch St. Pauli und kümmere mich um jeden Scheiß. Ich finde, es gibt Unterschiede in diesem Beruf. Manche haben das gelernt, aber nur, um irgendeine Ausbildung zu machen. Die haben aber eigentlich gar kein Interesse an den Menschen. Andere haben dafür richtig Bock darauf und nur eine Ausbildung gemacht, weil man eben diesen offiziellen Abschluss braucht, um bei bestimmten Institutionen oder Trägern arbeiten zu können. Mich selbst macht diese Arbeit mit Kindern oder auch Behinderten einfach glücklich. Das sind ehrliche Menschen, die voll im Leben aufgehen, wenn man ihnen etwas gibt. Das bedeutet mir echt viel.
MZEE.com: Was war die bisher schönste Erfolgsgeschichte, die du im Zuge deines Engagements für Kinder und Jugendliche miterleben durftest?
Kareem: Auf jeden Fall Miles Okay, den ich vorhin schon erwähnt habe. Den haben wir zu Universum Boxing gebracht, wo er einen krassen Coach hat. Miles wird Profi werden. Das sind Geschichten, da könnte ich heulen vor Glück. Der Junge hatte hart zu kämpfen in seinem Umfeld, aber er hatte Disziplin und den Willen, allen zu zeigen, dass man es schaffen kann. Er kann ein echtes Vorbild für andere Jugendliche bei uns sein.
(Jan Hartmann & Enrico Gerharth)
(Fotos von Lee Maas & Nico Vogelsaenger)