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Interview

Kitana – ein Gespräch über politische Sozialisation

"Ich hat­te als Kind nicht viel und mei­ne Mut­ter mein­te immer zu mir, dass es egal ist, was du trägst. Dein Kopf ent­schei­det, wel­che Klas­se du besitzt." – Kita­na im Inter­view über sozia­le Zuordnungen.

In der aktu­ell vor­herr­schen­den natio­nal­staat­li­chen Welt­ord­nung gibt es kei­ne Mög­lich­keit, sich Poli­tik bezie­hungs­wei­se poli­ti­schen Phä­no­me­nen zu ent­zie­hen. Selbst wer sich als "unpo­li­tisch" beschreibt oder dem­entspre­chend han­delt, agiert poli­tisch. Oft unbe­wusst wer­den auch kleins­te Situa­tio­nen im All­tag von poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen beein­flusst oder haben eine poli­ti­sche Dimen­si­on: Wel­che Lebens­mit­tel wer­den kon­su­miert und wo wer­den die­se ein­ge­kauft bezie­hungs­wei­se pro­du­ziert? Wie bewegt man sich durch die Stadt, wel­che Trans­port­mit­tel wer­den genutzt? Dem­entspre­chend wich­tig ist die poli­ti­sche Sozia­li­sa­ti­on und Bil­dung jun­ger Men­schen. Das poli­ti­sche Den­ken wird dabei aber längst nicht nur in der Schu­le beein­flusst, son­dern eben­so von der Fami­lie oder pop­kul­tu­rel­len Figu­ren geprägt. Somit haben Rapper:innen auch heu­te, obwohl manch­mal unge­wollt, poli­ti­schen Ein­fluss. Eine Rap­pe­rin, die sich ihrer Rol­le durch­aus bewusst ist, ist Kita­na. Immer wie­der lässt sie in ihre Lyrics poli­ti­sche Inhal­te frag­men­ta­risch ein­flie­ßen – oft in Kom­bi­na­ti­on mit der Flucht­ge­schich­te ihrer Fami­lie aus dem ehe­ma­li­gen Jugo­sla­wi­en. Wir spra­chen des­halb mit ihr über ihre poli­ti­sche Sozia­li­sa­ti­on, was Rap in die­sem Zusam­men­hang leis­ten kann, über kulturell-​religiöse Kon­flik­te und das Ent­ste­hen von Politikverdrossenheit. 

MZEE​.com​: Wir spre­chen heu­te über das The­ma poli­ti­sche Sozia­li­sa­ti­on. Wann bist du das ers­te Mal bewusst mit Poli­tik in Berüh­rung gekommen?

Kita­na: Nach­dem ich mein Abitur gemacht habe, war mein ers­ter Job im Büro des Bür­ger­meis­ters. Der kann­te mich noch von Rap-​Auftritten und Mode­ra­tio­nen in mei­ner Hei­mat­stadt, bei denen ich noch jün­ger war. Als er dann neu­er Bür­ger­meis­ter wur­de, mein­te er zu mir, dass er unbe­dingt eine jun­ge Per­son im Team brau­chen wür­de. Das Gan­ze war ein klas­si­scher Ver­wal­tungs­job, aber in einem poli­ti­schen Büro. Ich war kein Par­tei­mit­glied, aber ich muss­te sei­ne Par­tei, die The­men und alles drum­her­um trotz­dem ver­tre­ten. Ich habe mich immer kom­plett aus dem Poli­ti­schen raus­ge­hal­ten, auch wenn ich das sehr ernst genom­men und ver­folgt habe. Ich habe da immer Angst, mir die Fin­ger zu ver­bren­nen. Es ist sehr ange­spannt und du kannst so viel falsch machen. Eigent­lich möch­te ich nur, dass wir uns alle gern­ha­ben und nett zuein­an­der sind, unab­hän­gig von Natio­na­li­tät oder Back­ground. Wir soll­ten ein­fach gute Men­schen sein. Das ist mei­ne poli­ti­sche Hal­tung, die ich ver­su­che zu leben.

MZEE​.com​: Obwohl du nur einen Ver­wal­tungs­job hat­test, kamst du also trotz­dem wäh­rend dei­ner dama­li­gen Arbeit immer wie­der mit poli­ti­schen The­men in Berührung.

Kita­na: Wir hat­ten in mei­ner Hei­mat­stadt vor­her einen Bür­ger­meis­ter, der 25 Jah­re lang im Amt war. Dann kam der jun­ge Nach­fol­ger und alle haben ihren Blick auf ihn gerich­tet. Egal, wel­che Anfra­ge rein­kam, es ging immer dar­um, ihn gut zu reprä­sen­tie­ren. Vie­le Ver­an­stal­tun­gen, wie "Bür­ger der Stadt"-Verleihungen, aber auch Jugend­ver­an­stal­tun­gen und Ver­kehrs­an­ge­le­gen­hei­ten, waren irgend­wie poli­tisch. Der Bür­ger­meis­ter ist dort ein­fach für alles zustän­dig. Da hast du immer im Hin­ter­kopf, dass du ihn best­mög­lich prä­sen­tie­ren musst und du ver­suchst, zu gewähr­leis­ten, dass er ein guter Nach­fol­ger ist.

MZEE​.com​: Du hast gera­de schon kurz dei­ne Wer­te und Über­zeu­gun­gen ange­spro­chen. In dem Song "Hum­ble" rappst du: "Mama sagt: Rei­fe bestimmt Klas­se." Inwie­weit ist denn dei­ne Mut­ter für dei­ne poli­ti­sche Sozia­li­sa­ti­on verantwortlich?

Kita­na: Mei­ne Mut­ter und mein Vater haben immer gesagt, dass ich mich raus­hal­ten soll. Die waren stel­len­wei­se unpo­li­tisch, das fin­de ich nicht gut. Ich fin­de es zum Bei­spiel extrem wich­tig, wäh­len zu gehen, um einen poli­ti­schen Bei­trag zu leis­ten. Aber mei­ne Eltern hat­ten den Ein­druck, dass es bei allen Par­tei­en sowohl gute als auch schlech­te Attri­bu­te gibt oder dass Ver­spre­chun­gen nicht ein­ge­hal­ten wer­den. Des­halb hieß es immer: "Kind, hal­te dich bes­ser raus. Schaue, dass du ein guter Mensch bist und behan­de­le dei­ne Nächs­ten gut." Das ist sehr katho­lisch, denn mei­ne Balkan-​Familie ist sehr gläu­big. Es hieß oft, ich sol­le so han­deln, wie Gott es für rich­tig hält, auch wenn das total pla­ka­tiv ist. Das war mei­ne ers­te Prä­gung, aber ich habe wäh­rend mei­ner Schul­zeit gelernt, dass man sich nicht nur raus­hal­ten kann. (über­legt) Finan­zi­ell sind wir in sehr schwie­ri­gen Ver­hält­nis­sen auf­ge­wach­sen. Wir waren die "Scheiß-Jugoslaw:innen" und mei­ne Eltern muss­ten rich­tig hust­len, um Geld zu ver­die­nen. Zu uns hat nie­mand gesagt: "Refu­gees wel­co­me!" Ich hat­te als Kind nicht viel und mei­ne Mut­ter mein­te immer zu mir, dass es egal ist, was du trägst. Dein Kopf ent­schei­det, wel­che Klas­se du besitzt. Über­zeu­ge mit dei­nem Talent und mit dei­nen Aus­sa­gen die Men­schen von dir. Man sieht an einem Vor­fall wie auf Sylt, dass bei "obe­ren" Schich­ten manch­mal die Rei­fe auch gleich null ist.

MZEE​.com​: Gab es denn noch ande­re Men­schen und Momen­te, abseits von dei­ner Fami­lie, die dich poli­tisch sozia­li­siert haben?

Kita­na: Nein, nicht wirk­lich. Wäh­rend der Schul­zeit hat man zwar poli­ti­sche Bil­dung, aber mei­ne Schul­zeit war cra­zy. Ich war ein pro­ble­ma­ti­sches Kind und bin mit 14 von der Schu­le geflo­gen. Das ist ein wich­ti­ges Alter, in dem du dich für die höhe­ren Schu­len bewirbst (Anm. d. Red.: bezieht sich auf das Schul­sys­tem in Öster­reich). Ich habe nur Schei­ße gebaut, aber als ich älter wur­de, hat­te ich eine Pro­fes­so­rin, die ver­stan­den hat, wie ich ticke. Sie mein­te, ich sol­le mich zusam­men­rei­ßen, weil ich etwas aus mir machen kön­ne. Die hat mich nicht unbe­dingt poli­tisch geprägt, aber sie hat mir gezeigt, dass es nichts bringt, sich anti­so­zi­al zu ver­hal­ten. Das war ich zu die­sem Zeit­punkt, ich habe auf alle Regeln geschis­sen, Lehrer:innen beschimpft, Geset­ze gebro­chen und viel mit Dro­gen am Hut gehabt. Die Pro­fes­so­rin mein­te aber zu mir, ich müs­se mich ein biss­chen an die Regeln hal­ten, um in die­sem Sys­tem funk­tio­nie­ren und etwas errei­chen zu kön­nen. Das war sehr prä­gend, denn nor­ma­ler­wei­se hat man ja eher Trau­ma­ta von Lehrer:innen. Aber die­se eine Frau war mein Spi­rit Ani­mal, durch sie habe ich mich zusam­men­ge­ris­sen und konn­te mein Abi machen.

MZEE​.com​: Kom­men wir noch mal zurück zur Geschich­te dei­ner Fami­lie: Gera­de auf dei­nem ers­ten Album tau­chen immer wie­der Refe­ren­zen bezüg­lich des Krie­ges im ehe­ma­li­gen Jugo­sla­wi­en auf. Hast du manch­mal Sor­ge, dass die poli­ti­sche Geschich­te in Ver­ges­sen­heit gerät?

Kita­na: Ich weiß nicht, ob ich das erzäh­len soll, aber mei­ne Fami­lie bezie­hungs­wei­se die ein­ge­hei­ra­te­te Fami­lie mei­ner Mut­ter wird das Inter­view nicht lesen: Ich habe das Musik­vi­deo von "Hum­ble" in Trav­nik in Bos­ni­en gedreht. Dort ist es so, dass mit Serb:innen, bos­ni­schen Kroat:innen und Muslim:innen drei Kul­tu­ren bezie­hungs­wei­se Reli­gio­nen auf­ein­an­der­tref­fen. Mein Taxi­fah­rer zeig­te mir noch mal die Stadt – ich war dort das letz­te Mal vor 15 Jah­ren – und sag­te: "Gehe nicht in die­ses Vier­tel, dort leben die Mus­li­me." Ich habe mich echt gefragt, ob das sein Ernst ist. Ich hat­te Gän­se­haut und mich nicht getraut, etwas dage­gen zu sagen, weil er ein alter Sol­dat war. Die den­ken dort noch immer in kla­ren Feind­bil­dern gegen­über ande­ren Reli­gio­nen und Natio­na­li­tä­ten. Ich zei­ge das in mei­ner Musik auf, denn ich nut­ze selbst vie­le katho­li­sche Bibel­zi­ta­te und ver­bin­de sie mit mus­li­mi­schen Wör­tern. Das liegt auch an mei­nem Vater, der die­se viel in sei­nem Jar­gon ver­wen­det hat. Obwohl er Katho­lik ist, kommt er aus dem Vier­tel in Trav­nik, in dem über­wie­gend Muslim:innen leb­ten. In Wien sind wir zwar die Bosnier:innen, Serb:innen und Kroat:innen, aber wir ver­ste­hen uns. Wenn ich jedoch aufs Land fah­re, macht es mir Angst, was die dort noch für Ein­stel­lun­gen haben. Ich habe extre­me Sor­ge, dass die­ser reli­giö­se Kampf immer wei­ter geht. Es ist dort alles sehr reli­gi­ös und das hängt eng mit den Kul­tu­ren zusam­men. Jugoslaw:innen konn­ten in Wien leich­ter akzep­tiert wer­den als zum Bei­spiel Muslim:innen, weil sie nicht fünf­mal am Tag beten, kein Kopf­tuch tra­gen und die Kir­chen nicht son­der­lich laut sind. Aber was soll das? Mir ist eine grund­sätz­li­che Akzep­tanz wich­tig und das zei­ge ich in mei­ner Musik. Doch ich habe Angst, weil die­ser reli­giö­se Kon­flikt wei­ter anhält. Das ist oft eng ver­bun­den mit vie­len politisch-​kulturellen Aspek­ten der Gesell­schaft. Wir müs­sen unse­ren Nächs­ten lie­ben wie uns selbst. Das ist zwar auch ein Zitat aus der Bibel, aber war­um tun wir uns damit so schwer? Ich ver­ste­he das nicht, denn wir kön­nen auch Kon­flik­te haben, wenn wir der glei­chen Natio­na­li­tät und Reli­gi­on ange­hö­ren. Lasst uns doch unse­re Pro­ble­me gemein­sam lösen, ich will im End­ef­fekt nie­man­dem etwas Schlech­tes. Die Welt gehört allen, ver­dammt noch mal! Das ist mei­ne Devise.

MZEE​.com​: Kannst du nach­voll­zie­hen, wenn sich Men­schen über­haupt nicht mit poli­ti­schen Ereig­nis­sen beschäftigen?

Kita­na: Ich kann es nach­voll­zie­hen. Ich glau­be, es liegt dar­an, dass Poli­tik his­to­risch für viel Unheil ver­ant­wort­lich war. Es waren immer poli­ti­sche Kon­flik­te, unter denen vie­le Men­schen gelit­ten haben, die damit nichts direkt zu tun hat­ten. Noch immer ster­ben Men­schen, wenn sich auf poli­ti­scher Ebe­ne eini­ge Weni­ge strei­ten. Also stellst du dir die Fra­ge, wen du wäh­len sollst. Damals dach­ten die Leu­te auch, dass sie die "Rich­ti­gen" wäh­len und trotz­dem sind Krie­ge aus­ge­bro­chen. Dadurch wird das Ver­trau­en in die Poli­tik zer­rüt­tet. Viel­leicht den­ken des­halb vie­le, dass sie nichts bewe­gen kön­nen. Denn auch die Per­son, der ich mei­ne Stim­me gebe, wird mich womög­lich ver­ar­schen. So ent­wi­ckelt sich ein Mind­set, dass man es gut fin­det, nie­man­den zu wäh­len, weil alle schei­ße sind. Ich kann das ver­ste­hen und es ist auch nicht kom­plett aus der Luft gegrif­fen. Gera­de, wenn du dir zum Bei­spiel Öster­reich anguckst, was bei uns Bananenrepublik-​mäßig los war (Anm. d. Red.: Der Begriff "Bana­nen­re­pu­blik" bezeich­net in der Regel kor­rup­te und bestech­li­che poli­ti­sche Staa­ten. In Öster­reich bezieht sich die Bezeich­nung zum Bei­spiel auf die Pan­nen bei den Wah­len 2016). Das ist doch schreck­lich. Sag mir, wen soll ich wäh­len? Die Hoff­nung liegt dann meis­tens bei neu­en klei­nen Par­tei­en, denn die sind noch unbe­fleckt. Aber ver­steht mich nicht falsch, ich fin­de es nicht gut, nicht zu wäh­len. Wir müs­sen unse­re Stim­me nut­zen. Du musst dir dazu nicht jeden Zei­tungs­ar­ti­kel durch­le­sen und alle Fern­seh­sen­dun­gen anschau­en, aber über­le­ge es dir gut, zu wäh­len, wenn wich­ti­ge Wah­len anste­hen. Rede mit Leu­ten, nimm dir Zeit, infor­mie­re dich und dann gib jeman­dem nach dei­nem Ermes­sen dei­ne Stimme.

MZEE​.com​: Hät­test du denn eine Idee, wie man Poli­tik­ver­dros­sen­heit ver­hin­dern könnte?

Kita­na: Du musst die Bil­dungs­sys­te­me über­ar­bei­ten, denn es hat viel mit Jugend­li­chen und den her­an­wach­sen­den Gene­ra­tio­nen zu tun. Wir müs­sen dazu über­ge­hen, dass man jun­ge Men­schen dazu aus­bil­det, eine eige­ne Mei­nung zu ent­wi­ckeln und selbst nach­zu­den­ken. Ich zitie­re hier immer ger­ne Imma­nu­el Kant: "Habe Mut, dich dei­nes eige­nen Ver­stan­des zu bedie­nen." Wir wach­sen in einem Sys­tem auf, in dem wir ein klei­nes Zahn­räd­chen sind: Du sollst nicht anecken, son­dern dich ein­glie­dern. Wir soll­ten aber einen Raum schaf­fen, in dem sich Jugend­li­che ent­fal­ten kön­nen. Dort soll­te es ande­re Mög­lich­kei­ten geben, um zu ler­nen und Wis­sen zu kon­su­mie­ren. Es gibt vie­le span­nen­de poli­ti­sche The­men, aber wenn dir das Lehrer:innen so erzäh­len, dass du dabei ein­schläfst, kann man es auch sein las­sen. Ein ande­rer Punkt ist die oft sen­sa­ti­ons­gie­ri­ge Medi­en­land­schaft. Es geht um Clickbait-​Headlines und mög­lichst vira­le Social Media-​Beiträge. Wann kommt der nächs­te Skan­dal? Kids schau­en sich das dann an und haben per se eine schlech­te Mei­nung über die Poli­tik im Gene­rel­len. Es wäre wich­tig, dass sich die Medi­en­land­schaft hier auf Fak­ten bezieht und poli­tisch mög­lichst alle Mei­nun­gen und Rich­tun­gen abbil­det. Es kön­nen immer Feh­ler pas­sie­ren, aber nie­man­dem ist gehol­fen, wenn ein­zel­ne Medi­en oder Men­schen "ein­fach" gecan­celt wer­den, ohne sich die Fak­ten­la­ge näher anzu­se­hen. Des­halb bin ich mitt­ler­wei­le auch sehr vor­sich­tig: Wenn ich zum Bei­spiel hier etwas Fal­sches sage, ver­wen­det es der oder die Nächs­te im Batt­le gegen mich und ich habe das viel­leicht ursprüng­lich gar nicht so gemeint, wie es ver­stan­den wur­de. Lasst mich in Ruhe. (lacht) Lasst uns über die­ses Bier reden. (Anm. d. Red.: zeigt auf die Geträn­ke­fla­schen auf dem Tisch)

MZEE​.com​: Wie blickst du auf die Wahl­er­geb­nis­se in der jüngs­ten Zeit?

Kita­na: In Öster­reich haben wir bald Natio­nal­rats­wah­len, da mache ich mir gro­ße Sor­gen drum. Gera­de bei unse­rer His­to­rie haben wir ein gene­rel­les Rechts-​Problem in Euro­pa. Das ergibt sich auch aus den inter­kul­tu­rel­len Ver­stri­ckun­gen, denn vie­le ver­schie­de­ne Kul­tu­ren leben auf einem Hau­fen zusam­men. Vie­len von uns geht es finan­zi­ell und wirt­schaft­lich schlecht, auch Men­schen, die kei­ne Flucht­ge­schich­te haben. Die Leu­te sind frus­triert auf­grund von Phä­no­me­nen wie der Infla­ti­on. Wir wis­sen aus unse­rer Geschich­te, in wel­cher Form die­se Frus­tra­ti­on aus­ar­ten kann. Ich glau­be trotz­dem wei­ter­hin an das Gute, aber die Anspan­nung steigt lei­der ste­tig an und Men­schen has­sen sich auf­grund ihrer Her­kunft oder ihres sozia­len Status.

MZEE​.com​: Kom­men wir noch mal zurück zu dei­ner Musik: Auf "Kita­na Sea­son" sprichst du unter ande­rem Yung Hurn an. Was für ein Ziel ver­folgst du, wenn du Per­so­nen des öffent­li­chen Lebens direkt ansprichst und outcallst?

Kita­na: Ima­gi­ne, du wärst eine Frau, die betrof­fen ist, und du gehst auf ein Fes­ti­val. Dort siehst du, wel­chen Sup­port die­se Per­son bekommt, wie sie von Labels in der Musik­in­dus­trie, von Zei­tun­gen, von Fans und auch ande­ren Frau­en gepusht wird. Dann fragst du dich, wie das sein kann. Wie kann so ein schlech­ter Mensch so viel Sup­port in einem Sys­tem bekom­men, in dem wir gera­de eigent­lich sehr kri­tisch sind? Femi­nis­mus ist ein gro­ßes The­ma und Frau­en wer­den gestärkt. Jede:r weiß, was dort vor­ge­fal­len ist. Es ist der Ele­fant im Raum und trotz­dem tut nie­mand etwas. In dem Song spre­che ich das Sys­tem, die Musik­la­bels, Zei­tun­gen und Booker:innen an: Wie könnt ihr so jeman­den tole­rie­ren? Das Ers­te ist, dass ich der Frau, die allein­ge­las­sen auf einem Fes­ti­val steht, eine Stim­me geben will. Das Zwei­te ist, dass es mich per­sön­lich extrem trig­gert. Ich kom­me aus dem Rap und habe somit Zugriff auf eine Kunst­form, in der man so etwas künst­le­risch anspre­chen kann. Ich fin­de so ein Ver­hal­ten wie von ihm nicht in Ord­nung. Lasst Kin­der und Frau­en in Ruhe und seid gene­rell gute Men­schen. Das ist immer mei­ne Con­clu­sio. Ich fin­de es schwach von allen ande­ren in der öster­rei­chi­schen Sze­ne, denn fast nie­mand hat den Mund auf­ge­macht. Ich muss­te es machen, obwohl ich nicht mal Wie­ne­rin bin, ich lebe erst seit acht Jah­ren dort. Schämt euch alle.

MZEE​.com​: Blei­ben wir doch bei dei­nen Lyrics: "Kids sind ver­lo­ren ohne 'ne Mes­sa­ge!" Was möch­test du der jün­ge­ren Gene­ra­ti­on mit auf den Weg geben?

Kita­na: Ich bin zum Rap gekom­men, weil ich bei Rapper:innen wie Sido den Hass und die Wut auf das Sys­tem und sei­nen Mit­tel­fin­ger an alle gehört habe. Ich konn­te mich damit iden­ti­fi­zie­ren. Ich spre­che auch The­men an und bedie­ne Inhal­te, die ande­re jün­ge­re Leu­te bewe­gen. Die­se Men­schen haben mit mir eine Per­son als Bei­spiel, die hät­te abrut­schen kön­nen, aber etwas aus sich gemacht hat. Das will ich reprä­sen­tie­ren, gera­de weil ich fin­de, dass Mes­sa­ge und The­ma­ti­ken ein biss­chen ver­lo­ren gegan­gen sind. Es geht oft nur noch um Vibe, es muss boun­cen und für einen Mosh­pit funk­tio­nie­ren. Nie­mand ach­tet mehr auf Rhy­mes, sprach­li­che Aspek­te, Pun­ch­li­nes und Wie-​Vergleiche. Das ist aber eigent­lich etwas Künst­le­ri­sches und es macht Spaß, sowas zu kon­su­mie­ren. Die­se Krea­ti­vi­tät geht momen­tan etwas ver­lo­ren. Ich mei­ne hier natür­lich die brei­te Mas­se. Musik ist nicht nur Vibe, es kann auch etwas char­ten, das eine kras­se Mes­sa­ge hat. Aber momen­tan char­tet nur Musik mit Vibe. Dabei lässt sich mit Emo­tio­nen viel mehr aus­drü­cken. Es steckt zum Bei­spiel sehr viel Tief­grün­di­ges in der Musik von Haft­be­fehl oder PA Sports. Mit emo­tio­na­len Erzäh­lun­gen aus deren All­tag, dem Dro­gen­kon­sum und -ver­kauf, wird "ech­te" Musik pro­du­ziert. Es ist echt, weil die Brü­der das erlebt und dann auf­ge­schrie­ben haben. Das funk­tio­niert mit Indus­trie­pflan­zen und deren Songwriter:innen nicht. Dort fehlt die See­le in der Musik. Das ist ver­lo­ren gegangen.

MZEE​.com​: Wie möch­test du dei­ne eige­ne musi­ka­li­sche Stim­me viel­leicht auch poli­tisch in Zukunft wei­ter nutzen?

Kita­na: Ich sehe mich nicht in einer Par­tei oder bei der Orga­ni­sa­ti­on von Demos. Aber ich bin offen­sicht­lich urpo­li­tisch in mei­nen Tex­ten, denn ich set­ze mich mit vie­len poli­ti­schen The­men aus­ein­an­der und behand­le die­se. Das ist mein Wesen und das wer­de ich wei­ter­ma­chen. Ich fina­li­sie­re gera­de mein Album und will dort unter ande­rem The­men anspre­chen, die als unan­ge­nehm betrach­tet wer­den. Beim Anhö­ren sol­len sich die Leu­te die Fra­ge stel­len, wie und war­um ich dar­über einen Track mache. Mein Haupt­fo­kus beim Ver­öf­fent­li­chen von Musik war immer die Idee, dass es Leu­te da drau­ßen gibt, die allein in ihrem Zim­mer sit­zen, die­sel­ben Pro­ble­me haben, die trau­rig sind und denen es schlecht geht. Im Opti­mal­fall hören die­se Per­so­nen einen Song von mir und haben nicht mehr das Gefühl, dass es nur ihnen so geht. Ich möch­te, dass die Leu­te aus mei­ner Musik Kraft schöp­fen, gera­de bei nega­ti­ven, schwie­ri­gen und poli­ti­schen The­men. Damals hat­te ich die­ses Gefühl bei Sido, der Sachen gesagt hat, die mich emo­tio­nal abge­holt haben. Das waren trau­ri­ge Tracks, aber ich habe dar­aus Kraft geschöpft und etwas Gutes dar­aus gemacht. Mitt­ler­wei­le mache ich selbst Rap. Mit Musik hat man poten­zi­ell die bes­te Mög­lich­keit, vie­le Leu­te zu errei­chen. Und zwar gera­de Men­schen, die sich viel­leicht nicht so für Poli­tik, Kul­tu­rel­les und Sozia­les interessieren.

(Alec Weber & Alex­an­der Hollenhorst)
(Fotos von Niko­las Rode)