«Rapper finden es normal, dass es Frauen und Sex umsonst gibt»
Alyssa tanzt in Deutschrap-Videos. Mit uns sprach sie über Feminismus und darüber, wie sie erfolgreich wurde, ohne mit Rappern zu schlafen.
Sie kommen gerade von einem Videodreh. Für wen haben Sie getanzt, und wie?
Ein Video für den Rapper Summer Cem. Das war nicht so freizügig. Ich trug einen roten, engen Anzug und sollte neben ihm stehen und gut aussehen. Das war nicht anstrengend.
Sie bestimmen selbst, wie Sie gezeigt werden wollen, habe ich gelesen. Wie gehen Sie einen Dreh an?
Ich frage die Rapper, was sie sich vorstellen, und gehe alles Punkt für Punkt mit ihnen durch. Ich mache grosse Unterschiede, wer was darf. Kommt einer zu mir und fragt mich schüchtern und mit Respekt, ob er mich beim Tanzen anfassen darf, dann finde ich das okay.
Wann ist es nicht okay?
Zum Beispiel, wenn es zu einer Situation kommt wie beim Dreh mit 187 Strassenbande. Die wollten mich vor der Kamera Doggy nehmen. Sie wissen schon, man tut so, als ob. Da sagte ich Nein. Das ist mir zu viel. Aber jede muss selbst wissen, welche Grenzen sie hat. Ich bin da sehr klar.
Wie kommt das an?
Relativ gut. Sonst wäre ich nicht in über 80 Musikvideos zu sehen. Ich bin freundlich, aber dominant. Am Ergebnis sieht man, dass ich einen guten Job mache.
Schon als Teenager war sie fasziniert von Frauen, die in Rap-Videos tanzten. Heute ist Alyssa selbst Tänzerin. Foto: Christian Khalidi Photography
Wie werden Sie am Set behandelt?
Wie gesagt, ich wäre nicht so lange im Geschäft, wenn ich mehr schlechte als gute Erfahrungen gemacht hätte. Ich bin selbstbewusst. Das merken die Männer.
Gab es Ausnahmen – Drehs, bei denen Sie schlecht behandelt wurden?
Wenige. Beim Dreh mit 187 war ein Krokodil dabei. Ich hatte schrecklich Mitleid mit dem Tier. Es war so nervös. Schliesslich biss es mir in den Hintern. Da ging ich zu den Rappern und verlangte mehr Geld für die Nummer – und musste dafür viel Stress machen. Ich werde nie wieder mit ihnen zusammenarbeiten.
In Minute 02:38 sieht man, wie das Krokodil zubeisst. Alyssa erlitt leichte Verletzungen. Quelle: Vimeo
Wenn man Deutschrap hört, denken viele gleich an Frauenfeindlichkeit. Ist das kein Widerspruch für Sie, Teil davon zu sein?
Von aussen wirkt das Ganze frauenfeindlich. Aber wenn die Kamera aus ist, dann lache ich hinterher mit den Jungs darüber, wie ich eben getwerkt und sie gepost haben. Das ist alles Show.
All die Jungs sind also gar nicht so krass, wie sie tun?
Viele sind weicher, zeigen vor der Kamera und auf der Bühne nur ihre Kunstfigur. Einige sind tatsächlich Gangster. Aber die meisten nicht.
Wenn Ihnen jemand vorwirft, Sie unterstützten mit Ihrem Job als Videogirl frauenverachtendes Verhalten, was antworten Sie?
Ich definiere
Feminismus über den freien Willen der Frau. Wenn eine Frau sich verhüllen möchte, soll sie das tun. Will sie sich freizügig zeigen oder macht es sie glücklich, Pornos zu drehen, soll sie das tun. Wer bin ich, um zu beurteilen, wie Frauen Feminismus für sich persönlich definieren?
Wie stehen Sie zu Ihrem Frausein?
Ich liebe meinen Körper. Bin von Natur aus dünn. Ich musste jahrelang trainieren, um den Körper zu bekommen, den ich heute habe. Ich sparte Geld für meine Tattoos. Die Gesellschaft sagt einem ja immer: Lieb dich. Wenn du das dann tust, finden das viele doch wieder nicht gut. Was soll das? Ich sehe mich gern im Spiegel. Wenn ich ein Video gedreht habe, schaue ich mir das Resultat gerne an und bin stolz darauf.
«Ich bin freundlich. Aber die Männer müssen merken, dass da Grenzen sind.»Alyssa, Videogirl
Wie würden Sie Ihren Tanzstil beschreiben?
Ich nenne mich selbst «Twerk-Master». Weil ich so viele verschiedene Bewegungen mit meinem Hintern machen kann
(lacht).
Wie lernt man so was?
Das war viel harte Arbeit vor dem Spiegel mit vielen Verrenkungen, bis das wirklich so geschmeidig aussah. Das hat echt gedauert.
(lacht)
Haben Sie Vorbilder?
Aus Deutschland kann ich keine Rapperin nennen, die ein Vorbild für mich wäre oder mich inspiriert. Juju finde ich eine talentierte Rapperin. Aber ansonsten bin ich eher von Frauen wie Nicki Minaj fasziniert. Sie hat eine sehr starke, dominante Aura, die man ihr komplett abkauft.
Ist Ihre Selbstdarstellung eine Art Flucht vor Ihrer verletzlichen Seite?
Nein, ich versuche nicht, damit etwas zu kompensieren. Ich gehe auch offen mit meiner Depression um, etwa über Social Media. Das sollte kein Tabu sein. Ein Mädchen schrieb mir: «Durch dich habe ich weniger Panikattacken.» Wie schön ist das denn?! Anstatt nur über Make-up zu schreiben, kann ich jemandem stattdessen ein Stück mehr Seelenfrieden geben.
Wie wird man als Videogirl erfolgreich?
Du musst selbstbewusst sein und ein unzerstörbares Ego haben. Und du solltest tanzen können
(lacht). Twerken und Pole Dance sind beliebt. Du musst auch gut verhandeln können. Du musst dich selbst zu verkaufen wissen und bestimmt auftreten.
Eben sagten Sie, viele Rapper seien gar nicht so harte Jungs. Nun tönt es aber doch nach einem knallharten Geschäft.
Ja klar, so ist das im Hip-Hop. Jeder will Model und Rapper werden. Ich bin seit fünf Jahren im Game. Ganz klar, wenn ich als einzige Frau an ein Set mit 30 Männern komme, bin ich freundlich. Aber die Männer müssen merken, dass da Grenzen sind. Nur echtes Selbstbewusstsein funktioniert. Gespieltes nicht.
So freizügig wie in diesem Video würde Alyssa nicht für männliche Rapper tanzen. Quelle: Youtube
Sie haben auch in Videos weiblicher Rapperinnen getanzt, etwa Schwesta Ewa oder SXTN. Ist die Stimmung da anders?
Beim Rapperinnen-Duo SXTN, als es die Formation noch gab, war ich komplett nackt. Das war aber kein Problem, weil ich wusste, dass da alles nur Frauen waren. Das war entspannter. Bei Männern habe ich das bisher noch nie getan.
Aber oft sind Sie beinahe nackt. Gehört Freizügigkeit einfach dazu, oder würden Sie auch im Jogginganzug tanzen?
Klar hab ich auch mal einen etwas bedeckteren Anzug an. Aber es ist halt immer noch Hip-Hop, und da wird eben weniger verlangt, dass die Frau im Jogginganzug kommt, sondern in Unterwäsche. Aber man kann nicht nur den Vamp, sondern auch das Niedliche hervorheben. Und auch mit einem Jogginganzug hätte ich kein Problem.
Können Sie vom Tanzen leben?
Ja. Aber zu Beginn war es schwer. Besonders, wenn man nicht mit Männern schlafen will. Dann dauert das eine ganze Weile, bis man sich hocharbeitet. Es gab Monate, da war es schwierig, genug zu essen zu kaufen. Es war ein harter Weg. Das Schöne ist: Ich hab es auf eine ehrliche Art und Weise geschafft. Andere werden das wohl nicht schaffen.
«Die Frauen, die am Hebel sind, nutzen ihre Stimme nicht für unsere Anliegen»Alyssa, Videogirl
Wieso schlafen Sie nicht mit Männern nach dem Dreh – wie das offenbar viele andere Frauen tun?
Ja, das tun sie. Rapper finden das selbstverständlich. Es gibt die Frau und den Sex umsonst. Aber wenn du mir so kommst, werde ich ungemütlich. Egal, welchen Status du hast, Respekt sollte einfach da sein. Das ist aber schwer durchzusetzen. Es ist bedauerlich, dass auch hier die Emanzipation fehlt.
Das heisst, alle Frauen müssten geschlossen Nein zu Sex sagen, nur dann kann die Emanzipation wirklich stattfinden?
Ja. Ich bin jetzt gerade dran, hinter der Kamera zu arbeiten. Ich organisiere Mädchen für Videodrehs. Ich möchte ihnen einen guten Einstieg gewähren. Ich garantiere ihnen, dass sie nicht angefasst werden und ihr Geld kriegen. Für mich hat das niemand gemacht. Ich möchte den Rap so auf einen besseren Weg bringen. Es muss sich etwas ändern, und ich habe die Energie dafür.
Wie würde denn Ihr Video aussehen, wenn Sie Rapperin wären?
Ich würde mich als dominanten Part inszenieren. Ich würde einen Thron hinstellen. Links und rechts zwei Dobermänner, ich in der Mitte ganz in Schwarz mit einer Krone. Wenn schon, denn schon. Ich würde die Rollen umdrehen. Ich, die Alpha-Female. Neben dem Thron männliche Tattoo-Models, die einfach nur dazu da sind, um gut auszusehen. Ich würde mir genau das Gleiche rausnehmen wie die Männer, aber ich würde es geschmackvoller inszenieren.
Wie weit ist Ihre Vorstellung weg von der Realität?
Sehr weit weg. So was sieht man viel zu selten. Wenn eine Rapperin das machen würde, gäbe es einen Aufschrei. Das ist keine Gleichberechtigung. Dabei könnten wir gleichberechtigt sein.
Aber …?
Die Frauen, die am Hebel sind, nutzen ihre Stimme nicht für unsere Anliegen, so wie das Männer für ihre tun. Sie könnten so viel Sinnvolles tun. Das verstehe ich nicht. Frauen sind für unsere Emanzipation gestorben – bitte entschuldigen Sie, wenn das übertrieben klingt, aber so war es. Doch wir Frauen machen nichts draus. Das finde ich traurig.
Alyssa wünscht sich mehr Zusammenhalt unter den Frauen im Rap-Business. Quelle: Instagram via inked_alyssa
Was tun Sie dafür, dass Frauen im Rap-Business mehr gehört werden?
Ich engagiere mich in den Medien. Je grösser meine Reichweite wird, desto mehr wird meine Stimme gehört. In Zukunft würde ich mich gerne für Frauenrechte einsetzen, speziell für Vergewaltigungsopfer.
Wenn es nach Ihnen ginge, wie sähe Gleichstellung in der Rap-Szene aus?
Frauen müssen sich gegenseitig mehr unterstützen. Wir schützen nicht den Mann, wenn er Scheisse baut. Heute sagen Frauen teilweise nichts, weil der Rapper bekannt ist. Der Zusammenhalt fehlt. Ich bin keine Rapperin, aber ich würde mir wünschen, dass Rapperinnen ihre Stimme für die Gleichstellung nutzen. Da gibt es noch viel Handlungsbedarf. Es braucht mehr starke Frauen. Auch wenn das bedeutet, dass man sich mit den Männern anlegen muss.
Haben Rapper Angst vor starken Frauen?
Nicht alle, man muss Unterschiede machen. Massiv zum Beispiel ist ein super reflektierter Mann und benimmt sich allen gegenüber cool. Aber es gibt Rapper, die ein geringes Selbstwertgefühl haben – nur jenes ihrer Kunstfigur ist gross. Sie sind sich gewohnt, von allen bewundert zu werden. Wenn da eine Frau kommt, die das nicht tut, rasten die aus, werden wütend und schreien rum. Das zeugt nicht von Stärke. Das habe ich auch schon erlebt. Aber ich hab keine Angst, mich mit denen anzulegen.