Was bedeutet das für die Freiheit? Wir gebrauchen die Wörter "frei" und "Freiheit" leicht und locker und vergessen dabei häufig, dass sie einen Begriff bezeichnen, der, wie jeder Begriff, zu einer bestimmten Perspektive der Betrachtung gehört und nur dort einen Sinn ergibt. Zu welcher Perspektive? Zu derjenigen, aus der heraus wir uns als Personen sehen. Nur handelnde Wesen mit einem geistigen Profil sind mögliche Kandidaten für Freiheit und Unfreiheit. Man sucht in der materiellen Zusammensetzung eines Gemäldes vergebens nach Darstellung oder Schönheit, und im selben Sinne sucht man in der neurobiologischen Mechanik des Gehirns vergebens nach Freiheit oder Unfreiheit. Es gibt dort weder Freiheit noch Unfreiheit. Das Gehirn ist der falsche logische Ort für diese Idee.
Man kann weder das Sujet noch die ästhetischen Qualitäten eines Gemäldes verändern, ohne seine materielle Beschaffenheit zu verändern. Die thematischen und ästhetischen Eigenschaften sind von den materiellen abhängig. Übertragen auf den Fall von Wille und Gehirn heißt das: Das psychologische Profil einer Person kann sich nur dann verändern, wenn sich ihr neurobiologisches Profil verändert - wenngleich die neurobiologischen und psychologischen Geschichten ihrer jeweils eigenen Logik folgen. Das ist keine neue Entdeckung, sondern ein Gemeinplatz. Jeder, der ein Aspirin nimmt, glaubt daran.
Es kann so aussehen, als würde diese Abhängigkeit psychologischer Eigenschaften von neurobiologischen Eigenschaften jede Willensfreiheit im Keim ersticken. Was nützt uns die begriffliche Tatsache, dass die Idee der Freiheit zum autonomen Beschreibungssystem des Wollens, Überlegens und Handelns gehört, wenn alles Wollen dann doch von einem neurobiologischen Uhrwerk abhängt, das seine Vergangenheit nach ehernen Gesetzen in die Zukunft hinein fortschreibt? Wird die Rede von der Freiheit dadurch nicht zu einem schlechten Scherz?
Alles hängt davon ab, was wir mit "Freiheit" meinen. Ein Teil der Heftigkeit, mit der bei diesem Thema gestritten wird, erklärt sich aus dem falschen Eindruck, wir wüssten alle ganz gut, wofür das Wort steht. Davon kann keine Rede sein; hinter den Kulissen der rhetorischen Bühne herrscht heilloses Durcheinander. Man kann Ordnung in die Sache bringen, indem man sich die Frage vorlegt: Wie muss man sich die Freiheit gedacht haben, um von der Hirnforschung erschreckt werden zu können?
Es könnte einer erschrecken, weil er gedacht hatte, die Freiheit des Willens müsse darin bestehen, dass der Wille durch nichts bedingt sei. Dass er unter exakt denselben inneren und äußeren Bedingungen ganz unterschiedliche Wege nehmen könnte. Dass er in jedem Moment sein müsste wie ein unbewegter Beweger. Gesagt zu bekommen, dass es tausend Dinge im Gehirn gibt, von denen der Wille abhängt, ist dann ein Schock.
Doch einen in diesem Sinne freien Willen kann sich niemand wünschen, denn er wäre ein Wille, der niemandem gehörte: verknüpft weder mit dem Körper noch dem Charakter, noch dem Erleben, noch der Lebensgeschichte einer bestimmten Person. Er wäre vollkommen zufällig, unbegründet, unbelehrbar und unkontrollierbar. Einen solch launischen Willen zu haben wäre nicht die Erfahrung der Freiheit, sondern ein Alptraum.
Es könnte einer erschrecken, weil er sich den Willen zwar nicht als unbewegten Beweger gedacht hatte, sondern durchaus als etwas, für das es Bedingungen gibt, aber nicht solche im Gehirn, sondern psychologische Bedingungen, die aus nicht-physischen Phänomenen zu bestehen hätten. Der Schock gilt jetzt nicht mehr der Bedingtheit des Willens überhaupt, sondern seiner materiellen Bedingtheit. Sie ist es, die die Freiheit zu gefährden droht.
Doch das hieße, das Mentale in einer Weise getrennt vom Physischen zu denken, die wir einfach nicht verstehen können. Wir verstehen überhaupt die ganze Kategorie des "Nicht-Physischen" nicht. Und es gibt tausend Belege dafür, dass gilt: Keine psychologische Veränderung ohne physiologische Veränderung. Wie gesagt: Aspirin.
Schließlich könnte einer erschrecken, weil die Hirnforschung über Prozesse spricht, die hinter unserem Rücken vor sich gehen. Es gehört zur Freiheitserfahrung, dass uns unser Wollen spontan vorkommt. Und dann kann es ein Schock sein zu erfahren, dass auch hinter dem spontanen Willen eine neurobiologische Uhr tickt. Bedeutet das nicht, dass die Erfahrung von Freiheit eben doch eine bloße Illusion ist? Dass wir uns nur frei fühlen, es aber nicht sind?
Nein. Nichts an unserer Erfahrung geschieht ohne physiologischen Hintergrund: nicht die Wahrnehmung, nicht das Denken, nicht das Fühlen. Doch niemand kommt auf die Idee, dass dieser physiologische Hintergrund den Gegenstand all dieser Erfahrungen zu bloßen Illusionen macht. Warum also beim Willen?
Nur dann, wenn sich jemand die Freiheit des Willens auf so unplausible Weise denkt, kann er sie durch die Enthüllungen der Hirnforscher bedroht sehen. Sonst nicht. Und nur dann, wenn ein Hirnforscher insgeheim einer dieser ungereimten Vorstellungen von Freiheit anhängt, kann er glauben, dass seine Entdeckungen unser Selbstbild von willensfreien Personen zu erschüttern vermögen. Und so kommt es zu meiner unverschämten Diagnose: Was wie eine besonders klarköpfige Feststellung daherkommt, die die nüchterne Autorität des neuropsychologischen Labors hinter sich hat, setzt, was ihr Pathos angeht, ein Stück abenteuerliche Metaphysik voraus.
Doch was für ein anderes Verständnis von Freiheit hat der Unerschrockene vorzuschlagen? Es ist im Kern dieses: Unser Wille ist frei, wenn er sich unserem Urteil darüber fügt, was zu wollen richtig ist. Und der Wille ist unfrei, wenn Urteil und Wille auseinander fallen - das ist der Fall beim Unbeherrschten, den seine übermächtigen Wünsche überrennen und zu einer Tat treiben, die er bei klarem Verstand verurteilt; und es ist der Fall beim inneren Zwang, wo wir gegen besseres Wissen einem süchtigen Willen erliegen. Die Unfreiheit zu überwinden und zur Freiheit zurückzufinden heißt jeweils, Urteilen und Wollen wieder zur Deckung zu bringen und eine Plastizität des Willens zurückzugewinnen, die in dem Gedanken Ausdruck findet: Ich würde etwas anderes wollen und tun, wenn ich anders urteilte. Das nämlich ist die richtig verstandene Offenheit der Zukunft.
Keine neurobiologischen Befunde können die in diesem Sinne verstandene Freiheit gefährden. Das Zusammenfallen oder Auseinanderfallen von Urteil und Wollen hat eine neuronale Grundlage. Aber dass es diese Grundlage gibt, heißt nicht, dass es den beschriebenen Unterschied zwischen Freiheit und Unfreiheit nicht gibt. Neurobiologische Entdeckungen können Willensfreiheit nicht als Illusion entlarven. Wenn sie etwas entlarven, dann nur metaphysische Missverständnisse von Freiheit. Und um sie zu entlarven, brauchen wir die Neurobiologie eigentlich gar nicht. Klares Denken genügt.
Aus der bisherigen Geschichte ergibt sich, dass der tausendfach beschworene Konflikt zwischen Determinismus und Freiheit keiner ist. Dieser angebliche Konflikt ist nicht mehr als eine mächtige rhetorische Suggestion, die man außer Kraft setzen muss. Der Kontrast zum Determinismus ist der Indeterminismus. Und der Kontrast zu Freiheit ist nicht Determinismus, sondern Zwang. Es gibt also nicht den geringsten Grund zu erschrecken, wenn wir vor den Tomografieaufnahmen unseres Gehirns sitzen und sehen, wie festgefügte naturgesetzliche Dinge vor sich gehen, wenn wir unsere Freiheit ausüben, indem wir uns entscheiden.