selten so was gutes und differenziertes über Hiphop gelesen! Ist zwar schon älter, aber umbedingt lesen!!!
Von
http://www.dasmagazin.ch/index.php/Lasst_den_Hiphop_in_Ruhe
Lasst den Hiphop in Ruhe
Aus Das Magazin
22.05.2007, by Bänz Friedli
Die SVP hat den Hiphop als Feindbild entdeckt, und die Lehrer wollen den besten Rapsong gegen Gewalt auszeichnen. Die Schweizer Rapdebatte wird von Ahnungslosen geführt.
Die SVP hat die Rapper entdeckt, die Rapper haben die SVP entdeckt, und es fragt sich, was verhängnisvoller ist. «Gewalt durch ausländische Jugendliche: +185%» annonciert die Partei und zeigt im Bild einen grimmigen Kapuzenträger mit ausladender Armbewegung – typisch Hiphop. «Hol dr an Politiker, gib am as paar Tritt», mault der Bündner Gimma in einem Rap zurück, «suach dr eina vo de Wixer us uf ‹Schwiz aktuell›, und wenner di no wiiter nervt, bring na zum Schwiiga.» Et voilà, Thomas Fuchs, Berner SVP-Politiker mit Zürcher Stil, der immer zur Stelle ist, wenn man damit in ein Heftli kommt, ist zur Stelle und verklagt den Rapper.
Aber vielleicht sind Gimmas Verbalinjurien ja eine ironische Spiegelung der volksparteilichen Dumpfparolen, vielleicht vergilt er bewusst Plumpes mit Plumpem – sein Rap ist ein Cartoon, grell und überzeichnet. Genau so parodiert der welsche Stress, wenn er «**** Blocher!» skandiert und sich mit «Faschobande, lutscht meinen Schwanz!» an die SVP wendet, just deren eigenes Frontalmarketing. Rap wird, wie jede lebendige Jugendkultur, missverstanden. Was Publikum und Kritik etablierten Gattungen zubilligen, künstlerische Freiheit nämlich, bleibt dem Rap versagt. Niemand echauffiert sich, wenn der Rockpoet Thom Yorke von Radiohead singend auffordert: «Kill the President!» Doch wehe, ein Rapper hätte so getextet.
Gewiss ist nicht aller Rap gut. Und weil er die Hörerschaft stets im Ungewissen liess, ob er nun Protest oder Party, Politik oder Pimmelschau sei, hat der Rap das Vorurteil selber verschuldet: dass er Gewalt, Konsum und die Unterdrückung der Frau verherrliche. Die Impresari und ihre rappenden Protégés münzen die Vorurteile zu Insignien um, nennen sich Niggas und Gangstas, prahlen mit Schmuck und Schusswaffen – und erfüllen in ihrem Habitus, was das weisse Amerika dem schwarzen Mann seit je andichtet: dass er faul, schwanzgesteuert und jähzornig sei. Warum aber liest niemand diese Umkehrung als Gesellschaftskritik? Man darf sich nichts vormachen: Irritiert sind die US-Medien und der europäische Bildungsbürger vor allem darob, dass hier Schwarze die traditionelle Opferhaltung aufgeben, plötzlich reich, protzig und selbstbewusst auftreten, statt arm, hilfsbedürftig und devot. «Hiphop ist die einzige Kunstform, die offen den Kapitalismus feiert», wunderte sich das Magazin «Time». Man könnte auch sagen: Rapper sind schlicht ehrlicher als die Rockmillionäre, die im Clochard-Look den Desperado mimen.
Leitkultur der Chancenlosen
Inszeniert Quentin Tarantino eine Gewaltorgie, gilt es als Kunst – Rapper werden beim Wort genommen. Nur leider von Leuten, die aus zweiter Hand ein diffuses Bild vom kriminellen Hiphopper haben. Das Terrain für die aktuelle Diffamierungsoffensive bereiteten Zürcher und Berner Polizeistellen vor, die gern in Communiqués einfliessen liessen: «Die Täter sind im Hiphop-Umfeld anzusiedeln.» Der Kinoflop «Breakout» zementiert das Klischee «Jung plus gewalttätig gleich Hip-hop», Politik und Presse nehmens auf.
Der GangstaRap, insinuierte jüngst der «Tages-Anzeiger», sei schuld an den Vergewaltigungen von Seebach und Steffisburg. Eine verheerende Vereinfachung. Es mag bedenklich sein, wenn junge Männer sich an einer Musik ergötzen, in der Frauen nur Schlampen und Männer nur Zuhälter sind. Aber: Der wüste Rap ist nicht Auslöser von Missständen. Er berichtet nur darüber. Freilich ist der Irrtum, eine Musik, die aus einer bestimmten gesellschaftlichen Konstellation entstanden ist, für diese Konstellation verantwortlich zu machen, so alt wie die Popmusik. Schon als Bill Haley 1957 sein «Rock Around the Clock» erstmals in europäische Säle kläffte, gaben die Zeitungen der neuen Musik die Schuld, wenn Stühle zertrümmert wurden. Stimmte der Kurzschluss, dann wäre der Blues schuld an der Unterdrückung von Amerikas Schwarzen gewesen.
Und niemand fragt sich ernsthaft, weshalb sich Jugendliche im Gangsta-Rap finden. Die Feuilletons wiederholen nur, die Situation in den US-Gettos habe nichts mit Europa zu tun, diese Spielart des Rap sei bei uns also fehl am Platz. Gangsta-Rap, befand auch der «Tages-Anzeiger», sorge überall für ein «von den realen Lebensumständen entfremdetes Niggerbewusstsein». Womöglich hat der Berichterstatter es versäumt, sich diese Lebensumstände einmal anzuschauen: Die Aussichtslosigkeit einer Jugend in Seebach, Bern-Bethlehem oder Pratteln kann jener in amerikanischen Innercities verflucht ähnlich sein – kein Job, keine Chance, keine Familie, dafür eine Gang. Hier wie dort wird Hiphop zur Leitkultur der Heimatlosen, Rap zu einem Esperanto der Entwurzelten.
Für Kinder in unseren Agglomerationen ist die Pose des Outlaws verlockend, die von Rappern aus prekären New Yorker und Berliner Vierteln vorgezeigt wird. Doch selbst wenn manche der ****- und Prügelfantasien deutscher Rapper tatsächlich abstossend sind, ist deshalb die Kunst noch nicht schuld an ihrer Rezeption. Vielmehr wünschte man sich, jemand stünde unseren Jugendlichen bei, mit all den Fäusten und Messern in ihrem Leben und all den Brüsten und Ärschen auf ihren Laptops und Displays klarzukommen, unterscheiden zu lernen zwischen den Rappern, die das Elend verklären, und jenen, die es schildern, um wachzurütteln. Es gälte, herauszufinden, was Sozialreportage ist, was Karikatur, was Prahlerei. Doch Eltern, Lehrer, Jugend- und Sozialarbeiter sind fatal desinteressiert.
Und wenn sie Interesse zeigen, tun sie es so unbeholfen wie der Zürcher Lehrerverband, der per Wettbewerb den besten «Rap gegen Gewalt an den Schulen» sucht. Das ist, als hätten die Schulmeister in den Seventies zur hohen Zeit des Schockrockers Alice Cooper den besten Heavy-Metal-Song gegen Gewalt prämieren wollen. Jugendkultur lässt sich nicht einfach herzig umdeuten.
Ohne Rap kein Obama Hiphop, resümierte jüngst die Zeitschrift «Facts», sei am Ende und habe nichts bewirkt. Aber hallo! Er wird im kommenden US-Wahlkampf eine zentrale Rolle spielen. Der demokratische Kandidat Barack Obama zeigt ein neues schwarzes Selbstverständnis, das seine rappenden Chicagoer Freunde Common und Kanye West und die Hiphop-Soul-Königin Mary J. Blige artikuliert haben und das der im Hiphop verankerte TV-Komiker Dave Chappelle auf die Spitze trieb: Anstelle der alten Opferrolle «Mein Ururgrossonkel war Sklave» ist ein stolzes afroamerikanisches Selbstbewusstsein getreten. Hiphop hat einen Kandidaten wie Barack Obama erst möglich gemacht. Hip-hop sei zum Kommerz degeneriert, schreibt «Facts» und verkennt, dass er von Anbeginn Vermarktung im Auge hatte, und zwar die selbstbestimmte. Erstmals im Pop wurden Schwarze nicht als Tagelöhner abgespeist, sondern machten ihr eigenes Business.
Hiphop ist omnipräsent, in den Kapuzenpullis bei Vögele, in jeder Tanzbewegung der Musiksternschnuppe Börni. Und neu in der politischen Debatte der Schweiz. Wer äussert sich denn noch in juveniler Radikalität zur Lage der Nation, wie es vor 22 Jahren Züri West taten? Wer, wenn nicht die Rapper Stress, Gimma, Baze? Ihm machte die «SonntagsZeitung» in einem Verriss seiner CD ein unfreiwilliges Kompliment: «Er hat den Secondo-Slang voll drauf, der Berner Rapper Baze. Nur versteht man dann halt eben kein Wort, wenn er Konsonanten spuckt und Vokale verschluckt.» Eben. Eine Sprache, die Erwachsene nicht mehr verstehen, ist gerade die Sprache, in der sich die Jetztzeit kommentieren lässt.