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[/float] Als Murat „Dissput“ Asma zum ersten Mal Gewalt erlebte, war seine Mutter mit ihm im achten Monat schwanger. Der Tritt des Vaters gegen den Bauch der Mutter war für ihn der Beginn einer knapp zwölf Jahre andauernden Folter. Sein Song auf dem ARCHE Rap-Soundtrack „Deutschlands vergessene Kinder“ (Mellowvibes) ist ein erschütterndes Beispiel dafür, wie es Kindern ergehen kann, wenn diese nicht gewollt sind. - Wo Musik die einzige Hilfe ist, wenn jede Hoffnung verloren scheint.
Beschimpfungen, Schläge, Gewalt - die Zeit heilt alle Wunden. Wie lange das im Extremfall dauern kann, weiß Dissput aus eigener Erfahrung. Über zwanzig Jahre sind vergangen, seit seine Eltern eine Ehe beendeten, die nie ein normales Familienleben kannte. „Mein Vater war von Anfang an gegen mich“, erzählt er mit ruhiger Stimme. Ein verhältnismäßig harmlos klingender Satz. Denn wäre es nach seinem Vater gegangen, wäre Murat „Dissput“ Asma nie zur Welt gekommen.
Rückblick. Die Geschichte der Familie beginnt in der Türkei. Murats Mutter war gerade 16, als sie ihre Heimat gegen den eigenen Willen verlassen musste. Sie war ausgesucht, einem Mann zu folgen, den sie nicht liebte, in ein Land, das ihr fremd war. Mit der Herzlichkeit ihres ostanatolischen Heimatortes hatte das Leben im Berliner Arbeiterbezirk Wedding wenig gemein. In der kleinen Altbauwohnung im zweiten Stock eines heruntergekommenen Hauses war sie mit ihrem gerade erst zur Welt gekommenen Sohn meist allein. Das Geld war knapp, oft reichte es nicht mal fürs Nötigste. Dann bettelte sie bei den Nachbarn nach Kleidung oder Lebensmitteln. Manchmal fiel etwas ab.
„Mein Vater hat sie oft allein gelassen“, erzählt Dissput, „manchmal auch über Wochen. Und sie konnte noch nicht mal Deutsch“. Während seiner Abwesenheit sei er in die Türkei geflogen, um sich dort „mit irgendwelchen Schlampen“ zu amüsieren. Für den Vater war es eine Flucht aus Frust, weil seine eigene Frau ihn nicht liebte. Wen wundert´s: Die Heirat wurde von den Familien der beiden initiiert, als seine Mutter gerade 12 Jahre alt war und noch mit Puppen spielte.
Als der Vater später in Deutschland sesshaft wurde, änderte das die Situation nicht etwa zum Guten. Im Gegenteil, jetzt sollte die Tortur für Murat erst beginnen. Der Vater gab ihm die Schuld für die gescheiterte Ehe und ließ ihn das mit voller Härte spüren. Für winzigste Vergehen hagelte es Schläge, nicht nur „einfache Schellen“, wie Dissput betont, sondern Prügel der härtesten Gangart.
Schläge und Tritte ins Gesicht oder den Magen wurden zum Alltag, wenn er eine Minute zu spät nach Hause kam, vergaß den Müll runter zu bringen oder um ein paar Pfennig Taschengeld bettelte. „Noten nach Hause bringen...eine Katastrophe!“ Jedes Ergebnis unterhalb einer 2 wurde bestraft. „Mittelmäßigkeit hat er nicht akzeptiert.“
Manchmal sperrte er ihn dann „wie einen Verbrecher“ übers Wochenende ins Zimmer ein. Statt Mahlzeiten gab es nur Wasser und Brot, die Toilettengänge waren reduziert. Wenn Murat abends im Bett lag, zog er sich die Decke über den Kopf und versuchte krampfhaft nicht zu weinen, während sein Vater mit voller Wucht auf ihn eintrat. Väterliche Fürsorge gab es „gleich null“. Von klein auf musste er parieren. „Setz dich grade hin, das sieht schwul aus“, schnauzte der Vater seinen Sohn am Esstisch an. „Du bist nichts wert!“, hat er ihm immer wieder gesagt. Mit jedem neuen Tag stieg bei Murat die Angst vor dem eigenen Vater und seiner brutalen Züchtigung.
Es gab auch bessere Zeiten. In den kurzen Momenten der elterlichen Nähe erklärte er seinem Sohn, er schlage und liebe zugleich. „Wie soll man als achtjähriges Kind darauf reagieren?“, fragt Dissput, der, während sich sein Vater gern einen neuen Wagen gönnte, die alte Kleidung des Nachbarn auftragen musste. „Ich schlief oft unter Tränen ein. Das war normal.“
Nicht immer konnte er die brutalen Erlebnisse für sich kompensieren. Einmal würgte er einen Mitschüler auf dem Pausenhof, bis dieser im Gesicht blau anlief und kurz davor war zu ersticken. Der Junge hatte sich beim Fußballspiel ins Tor gestellt - das war Murats Position auf dem Feld.
Damit in der Schule niemand etwas mitbekam, versteckte er die vielen Blutergüsse und Prellungen tagsüber unter der Kleidung. Darum ahnten Freunde auch nichts von dem, was sich bei ihrem Kumpel zuhause abspielte. So ging das über zehn Jahre - familiäre Gewalt in der Anonymität der Großstadt - bis seine Mutter den Entschluss fasste, die Ehe endgültig zu beenden.
Dissput wird den Tag der Entscheidung nie vergessen, der das Ende besiegelte. Er stand in der Küche und bekam den heftigen Streit seiner Eltern mit. Gerade als der Vater ausholte, um seine Frau für ihr Ungehorsam zu schlagen, zog der Zwölfjährige reflexartig das große Fleischermesser aus dem Holzblock und richtete es gegen seinen Vater. Mit der Faust umklammerte er den Griff des Messers, stellte sich schützend vor seine Mutter, fest entschlossen auf seinen Vater einzustechen, wenn es hart auf hart käme.
Weiter auf Seite 2.
Für einen Moment herrschte Totenstille im Raum. Bis hierhin und nicht weiter, dachte er bei sich. Du gehst nicht auch noch gegen meine Mutter, sollte sein Blick dem perplexen Vater sagen. Dieser Tag war das Ende der jahrelangen Pein. Sein Vater zog aus und verließ die Familie. Murat hat ihn nie wieder gesehen.
In der Folgezeit beginnt Dissput zu sprühen und Trains zu bomben. Manchmal prügelt er sich, „die üblichen Schlägereien“, oder zieht Leute ab, „aber ich habe nie andere Menschen unterdrückt wie mein Vater“. Dann kam die Musik.
Mit seinen 32 Jahren zählt Dissput inzwischen fast zur Berliner Old Skool. Er weiß genau, wie seine Musik auf Menschen wirkt, die nicht um seinen Hintergrund wissen. Er kann verstehen, wenn sie sagen, sie wäre „krank“. Wundern tut ihn das nicht. Vor kurzem erschien sein neues Album „Anders als Du“, für das er mit vielen bekannten Vertretern der deutschen Szene zusammengearbeitet hat.
Dass er für „Deutschlands vergessene Kinder“ über die schlimmsten Jahre seines Leben spricht, war ihm ein persönliches Anliegen. „Ich hoffe, dass die Songs auf diesem Sampler manchen Eltern die Augen öffnen, damit sie sensibler mit ihren Kindern umgehen. Wenn es in der Kindheit schon hakt, wirkt sich das auf die gesamte weitere Zukunft aus“, erklärt er. „Den Kindern möchte ich sagen, dass man mit solchen Geschichten lernen kann umzugehen. Wenn ihnen meine Musik oder meine Person in der Richtung etwas Hoffnung geben kann, ist das ein guter Schritt.“
Autor: Jan „Pasu“ Pasutti
Dissput - „Anders als Du“
Album out: 24.10.08
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Sampler - „Deutschlands vergessene Kinder“
Album out: 03.10.08
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Links:
www.deutschlands-vergessene-kinder.info
www.myspace.com/dissput
www.mellowvibes.de
Beschimpfungen, Schläge, Gewalt - die Zeit heilt alle Wunden. Wie lange das im Extremfall dauern kann, weiß Dissput aus eigener Erfahrung. Über zwanzig Jahre sind vergangen, seit seine Eltern eine Ehe beendeten, die nie ein normales Familienleben kannte. „Mein Vater war von Anfang an gegen mich“, erzählt er mit ruhiger Stimme. Ein verhältnismäßig harmlos klingender Satz. Denn wäre es nach seinem Vater gegangen, wäre Murat „Dissput“ Asma nie zur Welt gekommen.
Rückblick. Die Geschichte der Familie beginnt in der Türkei. Murats Mutter war gerade 16, als sie ihre Heimat gegen den eigenen Willen verlassen musste. Sie war ausgesucht, einem Mann zu folgen, den sie nicht liebte, in ein Land, das ihr fremd war. Mit der Herzlichkeit ihres ostanatolischen Heimatortes hatte das Leben im Berliner Arbeiterbezirk Wedding wenig gemein. In der kleinen Altbauwohnung im zweiten Stock eines heruntergekommenen Hauses war sie mit ihrem gerade erst zur Welt gekommenen Sohn meist allein. Das Geld war knapp, oft reichte es nicht mal fürs Nötigste. Dann bettelte sie bei den Nachbarn nach Kleidung oder Lebensmitteln. Manchmal fiel etwas ab.
„Mein Vater hat sie oft allein gelassen“, erzählt Dissput, „manchmal auch über Wochen. Und sie konnte noch nicht mal Deutsch“. Während seiner Abwesenheit sei er in die Türkei geflogen, um sich dort „mit irgendwelchen Schlampen“ zu amüsieren. Für den Vater war es eine Flucht aus Frust, weil seine eigene Frau ihn nicht liebte. Wen wundert´s: Die Heirat wurde von den Familien der beiden initiiert, als seine Mutter gerade 12 Jahre alt war und noch mit Puppen spielte.
Als der Vater später in Deutschland sesshaft wurde, änderte das die Situation nicht etwa zum Guten. Im Gegenteil, jetzt sollte die Tortur für Murat erst beginnen. Der Vater gab ihm die Schuld für die gescheiterte Ehe und ließ ihn das mit voller Härte spüren. Für winzigste Vergehen hagelte es Schläge, nicht nur „einfache Schellen“, wie Dissput betont, sondern Prügel der härtesten Gangart.
Schläge und Tritte ins Gesicht oder den Magen wurden zum Alltag, wenn er eine Minute zu spät nach Hause kam, vergaß den Müll runter zu bringen oder um ein paar Pfennig Taschengeld bettelte. „Noten nach Hause bringen...eine Katastrophe!“ Jedes Ergebnis unterhalb einer 2 wurde bestraft. „Mittelmäßigkeit hat er nicht akzeptiert.“
Manchmal sperrte er ihn dann „wie einen Verbrecher“ übers Wochenende ins Zimmer ein. Statt Mahlzeiten gab es nur Wasser und Brot, die Toilettengänge waren reduziert. Wenn Murat abends im Bett lag, zog er sich die Decke über den Kopf und versuchte krampfhaft nicht zu weinen, während sein Vater mit voller Wucht auf ihn eintrat. Väterliche Fürsorge gab es „gleich null“. Von klein auf musste er parieren. „Setz dich grade hin, das sieht schwul aus“, schnauzte der Vater seinen Sohn am Esstisch an. „Du bist nichts wert!“, hat er ihm immer wieder gesagt. Mit jedem neuen Tag stieg bei Murat die Angst vor dem eigenen Vater und seiner brutalen Züchtigung.
Es gab auch bessere Zeiten. In den kurzen Momenten der elterlichen Nähe erklärte er seinem Sohn, er schlage und liebe zugleich. „Wie soll man als achtjähriges Kind darauf reagieren?“, fragt Dissput, der, während sich sein Vater gern einen neuen Wagen gönnte, die alte Kleidung des Nachbarn auftragen musste. „Ich schlief oft unter Tränen ein. Das war normal.“
Nicht immer konnte er die brutalen Erlebnisse für sich kompensieren. Einmal würgte er einen Mitschüler auf dem Pausenhof, bis dieser im Gesicht blau anlief und kurz davor war zu ersticken. Der Junge hatte sich beim Fußballspiel ins Tor gestellt - das war Murats Position auf dem Feld.
Damit in der Schule niemand etwas mitbekam, versteckte er die vielen Blutergüsse und Prellungen tagsüber unter der Kleidung. Darum ahnten Freunde auch nichts von dem, was sich bei ihrem Kumpel zuhause abspielte. So ging das über zehn Jahre - familiäre Gewalt in der Anonymität der Großstadt - bis seine Mutter den Entschluss fasste, die Ehe endgültig zu beenden.
Dissput wird den Tag der Entscheidung nie vergessen, der das Ende besiegelte. Er stand in der Küche und bekam den heftigen Streit seiner Eltern mit. Gerade als der Vater ausholte, um seine Frau für ihr Ungehorsam zu schlagen, zog der Zwölfjährige reflexartig das große Fleischermesser aus dem Holzblock und richtete es gegen seinen Vater. Mit der Faust umklammerte er den Griff des Messers, stellte sich schützend vor seine Mutter, fest entschlossen auf seinen Vater einzustechen, wenn es hart auf hart käme.
Weiter auf Seite 2.
Für einen Moment herrschte Totenstille im Raum. Bis hierhin und nicht weiter, dachte er bei sich. Du gehst nicht auch noch gegen meine Mutter, sollte sein Blick dem perplexen Vater sagen. Dieser Tag war das Ende der jahrelangen Pein. Sein Vater zog aus und verließ die Familie. Murat hat ihn nie wieder gesehen.
In der Folgezeit beginnt Dissput zu sprühen und Trains zu bomben. Manchmal prügelt er sich, „die üblichen Schlägereien“, oder zieht Leute ab, „aber ich habe nie andere Menschen unterdrückt wie mein Vater“. Dann kam die Musik.
Mit seinen 32 Jahren zählt Dissput inzwischen fast zur Berliner Old Skool. Er weiß genau, wie seine Musik auf Menschen wirkt, die nicht um seinen Hintergrund wissen. Er kann verstehen, wenn sie sagen, sie wäre „krank“. Wundern tut ihn das nicht. Vor kurzem erschien sein neues Album „Anders als Du“, für das er mit vielen bekannten Vertretern der deutschen Szene zusammengearbeitet hat.
Dass er für „Deutschlands vergessene Kinder“ über die schlimmsten Jahre seines Leben spricht, war ihm ein persönliches Anliegen. „Ich hoffe, dass die Songs auf diesem Sampler manchen Eltern die Augen öffnen, damit sie sensibler mit ihren Kindern umgehen. Wenn es in der Kindheit schon hakt, wirkt sich das auf die gesamte weitere Zukunft aus“, erklärt er. „Den Kindern möchte ich sagen, dass man mit solchen Geschichten lernen kann umzugehen. Wenn ihnen meine Musik oder meine Person in der Richtung etwas Hoffnung geben kann, ist das ein guter Schritt.“
Autor: Jan „Pasu“ Pasutti
Dissput - „Anders als Du“
Album out: 24.10.08
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Sampler - „Deutschlands vergessene Kinder“
Album out: 03.10.08
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Links:
www.deutschlands-vergessene-kinder.info
www.myspace.com/dissput
www.mellowvibes.de
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