Als "humanitären Hilfskonvoi" haben die pro-palästinensischen Organisatoren die Flotte bezeichnet, mit der sie die israelische Seeblockade des Gaza-Streifens am Montagmorgen durchbrechen wollten. Doch als die israelische Armee das größte Schiff, die "Mavi Marmara", stürmte, traf sie keineswegs nur auf gutmütige und gewaltfreie Gandhis: Einige der "Friedensaktivsten" empfingen die Israelis mit Eisenstangen und Steinschleudern, manche der selbsternannten "Menschenrechtler" sollen den Soldaten gar ihre Waffen entrissen und selbst geschossen haben.
Friedlicher Protest sieht wahrlich anders aus.
Eine angemessene Reaktion eines Rechtsstaates, als der sich Israel bezeichnet, allerdings auch. Bei mindestens 15 Toten, allesamt auf Seiten der Aktivisten, und mehr als 30 zum Teil schwer Verletzten, steht fest, dass Israel eines der höchsten Prinzipien für den Einsatz militärischer Gewalt verletzt hat - die Verhältnismäßigkeit der Mittel.
Er habe noch nie eine "demokratische" Armee gesehen, die sich so viele "Moralfragen" stelle, sagte noch am Sonntag der französische Philosoph Bernard Henri Levy über Israels Militär. Es darf bezweifelt werden, ob er diesen Satz nach der Marine-Aktion wiederholen würde.
Die entscheidenden Fragen haben die Sprecher von Armee und Regierung bislang nicht beantwortet:
* Warum beschossen israelische Soldaten aus fliegenden Hubschraubern die Passagiere?
* Wieso enterte die Marine überhaupt die Schiffe; sie hätte sich ihnen ja auch einfach in den Weg stellen können?
* Und warum schlug Israel draußen in internationalen Gewässern zu, lange bevor die Flotte israelisches Hoheitsgebiet erreichte?
Israel baut seinen Gegnern eine Bühne
Es habe sich um israelische "Selbstverteidigung" gehandelt, heißt es in Jerusalem. Die Aktivisten hätten "extreme Gewalt" ausgeübt, sie trügen die alleinige Verantwortung für die vielen Opfer. Doch die Hauptverantwortung trägt Israel. Das Vorgehen der Armee war durch impulsive Reaktionen gekennzeichnet, durch überzogenes Handeln und mangelndes Mitgefühl für die Opfer. Besonnenheit? Ein Fremdwort.
"Wir fordern alle auf, nicht in die Falle der Provokation zu tappen", sagte der stellvertretende israelische Außenminister Danny Ajalon.
Dabei hatte sein Land gerade erst gezeigt, wie unverhältnismäßig es auf eine "Provokation" reagiert - ohne die Folgen des eigenen Handelns abzuwägen.
Die in Israel lebenden Araber ziehen auf die Straße, weil der Führer der Islamischen Bewegung, Raed Salah, bei der Militäraktion verletzt wurde. Und auch die Hamas betritt dankbar die von Israel erbaute Bühne und prangert vor den Fernsehkameras der internationalen TV-Networks die Blockade des Gaza-Streifens an.
Dabei hat Israel zu Recht argumentiert, in Gaza gebe es keine humanitäre Katastrophe. Die Lage in dem Küstenstreifen ist für die allermeisten Palästinenser sicher alles andere als angenehm, weil Israel viele Güter nicht ins Land lässt: Aber hungern muss in Gaza keiner. Durch die übertriebene Militäraktion hat Israel allerdings die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit erst recht auf Gaza gelenkt.
Premier Benjamin Netanjahu sollte am Dienstag zu einem Gespräch mit US-Präsident Obama in Washington eintreffen - er hat seine Nordamerika-Reise nun vorzeitig abgebrochen und kehrt nach Jerusalem zurück.
Der frühere israelische Außenminister Abba Eban sagte einst über die Palästinenser, sie würden keine Gelegenheit verpassen, eine Gelegenheit zu verpassen (zum Friedensschluss).
Bei Israel ist es genau umgekehrt: In der Krise scheint Israel manchmal geradezu nach der Gelegenheit zu suchen, die Welt gegen sich aufzubringen.