Nur: Aktuelle Studien zu nächtlichen Ausgangssperren – zu diesem Fazit kommt sogar der „Faktenfinder“ der „Tagesschau“ – sehen keinen nennenswerten Nutzen, der im Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stünde. Und führende Aerosolforscher haben der Regierung gerade in einem Brandbrief klargemacht, dass es nicht nur falsch, sondern sogar schädlich ist, Treffen im Freien einzuschränken: Dort finden, anders als in Innenräumen, so gut wie keine Ansteckungen statt.
Doch nicht nur die Gegenargumente der Wissenschaft scheinen der Bundesregierung egal zu sein, sie setzt sich – was schwerer wiegt – auch über die Einwände der Gerichte hinweg. Die haben regionale Ausgangssperren immer wieder für unverhältnismäßig und rechtswidrig erklärt, zuletzt das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg, das die Notwendigkeit der Maßnahme „nicht ansatzweise nachvollziehbar“ fand. Ein schlimmer Verdacht drängt sich auf: Setzt das Kabinett darauf, dass die Bürger, sobald die Ausgangssperren per Bundesverordnung verhängt werden, nur noch beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe klagen können?
Ein bisschen Bergamo soll noch zu spüren sein
Immer wieder heißt es, die Ausgangssperren dienten gar nicht dazu, den Aufenthalt im Freien zu verhindern, sie sollten vielmehr private Partys verhindern. Die Erfahrungen in Frankreich zeigen allerdings, dass die Maßnahme eher das Gegenteil bewirkt: Es wird drinnen erst recht gefeiert, im Zweifel bleibt man über Nacht.
Man muss also vermuten, dass die Regierung in erster Linie ein Zeichen setzen will. Die Bürger sollen gar nicht auf die Idee kommen, man könne an milden Abenden den Frühling genießen, bei einem Spaziergang mit der Familie oder auf einer Decke im Park, wie vor der Pandemie. Ein Hauch von Wuhan, ein bisschen Bergamo soll auch jetzt noch zu spüren sein.
Das Recht aber ist keine symbolpolitische Verhandlungsmasse, es darf nicht als psychologisches Druckmittel missbraucht werden. Es wäre eine Schande für die Demokratie, wenn der Bundestag den Ausgangssperren zustimmt.