Waldgänger von Rolf Schilling
TRITT ein und nimm die Binde von den Augen,
Dies ist der grüne Tempel deines Traums:
Wo Flügel sirren, Rüssel Nektar saugen,
Holunder sich im Stürzen hellen Schaums
Verströmt, soll dir zum Stab die Hasel taugen,
Und Natter beugt als Hüterin des Saums,
Verjüngter Haut, auf der die Siegel blinken,
Ihr Haupt, vom Tau des ersten Tags zu trinken.
Durchs grüne Reich geh als der Namengeber
Auf Fährten, deinem Traum zutiefst vertraut,
Bemiß die Milch dem Wolf, die Wurz dem Eber,
Schmück deinen Helm mit Purpur-Knabenkraut,
Dem Seidenglänzer wie dem Wolkenweber
Zoll deinen Spruch, und auf der Schlangenhaut
Entziffre, was die Stifterin der Bünde
Im Herzen hegt, und was sie wünscht, verkünde.
Zuerst wirst du, die Blicke an den Boden
Geheftet, als der Bilder Souverän,
Im Halm das Haar, im Hexen-Ei die Hoden
Des Hirsches und im Schaft den Speer erspähn,
Wo dich das Moos verlockt mit feuchten Loden,
Schlüpf in den Fels, die Sporen auszusän
Des Lichts, und schwimmt der Schwan vor deinem Nachen,
Fährst du gefeit aus jeder Höhle Rachen.
Wer sich im Eichwald nach dem Einblatt bückte,
Hab auch der Nester in den Wipfeln acht,
Wen Adlerfarn und Rosmarin entzückte,
Der hegt in seinen Waben reiche Tracht,
Und daß dir glücke, was noch keinem glückte,
Hoffst du: daß dir das Einhorn in der Nacht
Erscheine, dich entrückend an die Quelle,
Die Silber sprüht auf Lamm- und Widderfelle.
Nicht nur dem Erz im kühlen Grottendämmer,
Nicht nur der Tiefe bist du zugewandt,
Als Schild am Weiher und als Schilf-Durchkämmer
Hältst du auf Molch und Otter deine Hand,
Wo dir von Amselsang und Spechtsgehämmer
Die Lichtung tönt, schling deiner Lilien Band
Zum Ring, und gilts, die Eiche zu ersteigen,
Bist du noch stets der erste in den Zweigen.
Lausch in die Höh, der Adler hat geschrieen,
Vom Wind verführt wirf ab der Erde Last,
Den glatten Stamm mit Armen und mit Knieen
Umklammernd, strebst du auf zum sichren Ast,
Bereit, noch weiter dich emporzuziehen,
Die harsche Hand zu krallen in den Bast,
Und aus dem Horst hebst du das Adlerjunge
Ans Licht mit festem Griff und jähem Schwunge.
Schneeweiß im Flaum, im frühsten, sein Gefieder
Vermag zu blenden deinen Herrscher-Blick,
Du ahnst, daß ihm dein Wesen nicht zuwider,
Du siehst dein Los geknüpft an sein Geschick,
Du senkst ihn sanft in seine Wiege nieder,
Du ziehst dich aus der Schwebe scheu zurück
Und kommst herab, verwandelt und erhaben,
Zu prunken weiß im Samt des Adlerknaben.
Schreit ab den Waldsaum, sieh im Ried verschwistert
Die Knoblauch-Rauke mit dem Lerchensporn,
Pflück aus dem Gras, drin leis der Tritt erknistert
Des Wiesels, weiß den Aronstab, im Dorn
Des Brombeer-Strauchs hör, was der Wind dir flüstert,
Aus frischen Quellen speise deinen Born,
Auf daß, wenn Wildgeruch die Maiendüfte
Verschlug, der Ginster blüh aus deiner Hüfte.
Wo einst im Rausch das Zepter Pans du schwangest,
Kehr ein am Hort, und wende dich, der du
Des Waldes Wunder nie genugsam sangest,
Betört von Schwalbenwurz und Frauenschuh,
Zum Südhang wieder. Wo durchs Tal du drangest,
Schließt hinter dir Gestrüpp die Pfade zu,
Und nur der holdeste der Harnisch-Träger
Schwirrt vor der Stirn dir als der Traum-Aufpräger.
Im Schatten jener Eiche sollst du rasten
Zuletzt, Waldtaube lockt dich mit Gegurr,
Wo Falter dir die Wange sacht betasten,
Vergiß dich, Fäden spinn und Netze zurr,
Der Jäger reicht sein Waidwerk dem Erblaßten,
Hirschkäfer wallen auf im Brunst-Gesurr,
Und jenem, der im Gras die Schlange träfe,
Schwäng sie als Diadem sich um die Schläfe.
So streck dich aus mit samtenem Behagen
Am Saum des Feuers, wo mit Lefzen rot
Der Salamander wacht, laß Hörner ragen
Im Laub, dort gieß den Wein und brich das Brot,
Laß deinen Speer das Zelt der Sterne tragen,
Solang im Rispen-Silber Soma loht,
Und bis der Wächter seine Schar vergattert,
Blas in die Glut, vom Asche-Flaum umflattert.
Ein Hold-Arom von Zimmet und Zitrone
Wogt über Blütenhäuptern rosa-weiß,
Die Göttin öffnet ihren Schoß dem Sohne,
Daß Blut und Äther ihm die Flamme speis,
Wer dies erfuhr, der heischt nicht Hort noch Krone,
Wer hier versänke, säng der Sichel preis,
Und wo die Aschwurz ihren Glanz metallen
Entfacht, laß dich in ihre Fänge fallen.
Besteh die Huldin, die den Hain durchschreitet,
Und Boten, die dir Widder-häuptig dräun,
Und spür, die samtnen Schwingen sind gebreitet,
Am Spiel der Eulen sollst du dich erfreun,
Und wissend, daß im Zauber, der dich leitet,
Der Hüter zwölf sind und der Häupter neun,
Laß, eh der Duft verweh, die Nacht sich neige,
Die Muschel glühn, daß ihr der Gott entsteige.
Der Gott der Wälder noch, der uralt-junge,
Vom Busch, der brennt, einsog er das Arom,
Mit Mohn im Haar und Purpur auf der Zunge,
Hinflutend auf des Mondlichts kühlem Strom,
Er läßt sich nieder, löst im Adlerschwunge
Den Runen-Reif, und vor des Holders Dom
Im Asche-Flaum, im Adler-Flaum, im grauen,
Nimmst du das Gold des Traums aus seinen Klauen.