Ein 19-jähriger, der in eine Schule geht um mit ausgewählten Professoren ein Blutbad zu machen, hat ganz einfach einen Grund.
... Sie haben mich rausgeworfen. Es ist vorbei. Kein Job. Mein Nacken steif. Ich bin am Ende...
Kindheit. Das ist die in einem Nebel der Verklärung gehüllte Spielwiese des Missbrauchs. Kinder werden missbraucht, das ist so, daran gibt es nichts zu rütteln. Ein gesellschaftlich akzeptiertes Übel, denn schließlich hat es einem selbst ja auch nicht geschadet. Doch plötzlich, wenn ein junger Mensch das tut, wozu man sich selbst auch schon genötigt gefühlt hat, ist alles wieder völlig anders. Er war sehr verschlossen, meint sein Vater. Sein Vater hat Schuld, meine ich.
Siehe: Erziehung
Siehe: Werte
Siehe: Moral
Und vergib uns uns're Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Ist doch so, oder? Und wie sehr wir unseren Schuldigern vergeben haben, sieht man am Beispiel der gelebten Nächstenliebe an Afghanistan. Wo waren sie, die grünen Pazifisten?
Der 11. September des pädagogischen Zeitalters ist eingetreten.
Unsere Tränen und Gedanken weilen bei den Opfern einer "sinnlose Tat", eines durchgeknallten Waffenfreaks.
Schwester! Tupfer und Schnäuztuch!
Eine SINNLOSE Tat hat 17 Menschen das Leben gekostet. Da kann man doch eigentlich nur an Vergeltung denken. Jetzt beginnt der Krieg gegen den Terrorismus im Wohnzimmer. Der Kampf gegen die Achse des Bösen mündet im Streit zwischen der neuen Generation und den grauen Panthern. Wer wird diesmal überleben?
Siehe: Erziehung
Siehe: Werte
Siehe: Moral
In diesem Kontext sollte es einem zumindest verdächtig erscheinen, dass ein "auffällig unauffälliger" Jugendlicher plötzlich zu einer Waffe greift, jedoch inne hält, sobald ein Lehrer zu ihm spricht, sich sogar von ihm einsperren läßt.
Wer weiß, vielleicht diente das nur als Vorwand und Steini hat die ganze Zeit im Zimmer zugebracht, ohne auch nur einen einzigen Schuss abzugeben.
Alles würde ins Bild passen.
Ich meine, hinter einer schwarzen Maske könnte doch jeder stecken. Und wer sich seiner größten Feinde entledigt, der sollte schon vorher wissen, wem er was in die Schuhe schiebt. Am besten jemandem, dem niemand die Tat zutraut.
Ich will hier nicht den Teufel an die Wand malen. Aber in der ersten Presseaussendung, die über die dpa ratterte war noch von zwei Tätern die Rede.
Vielleicht hörte man gleichzeitig Salven aus unterschiedlichen Waffen. Eine davon in der Hand von Steini, der sich befreien wollte. Eine weitere gehalten von einer Person in schwarz.
Siehe: Verschwörung
Siehe: Mutmaßung
Siehe: JFK
... ich möchte dir IRL eins verpassen, genau zwischen den Augen, du zynisches Schwein. Ich werde gehen. Und wenn ich gehe, dann nehm' ich euch mit. Alle. Ihr habt mir jeden Tag zerstört, jede Freude verleidet, meine Kindheit gestohlen, meinem Leben den Sinn geraubt. Ihr Günstlinge des Schicksals...
Die Seele des Zusehers ergeilt sich am Anblick der betroffenen Gesichter, und regt vielleicht einen Gedanken an. Wie schlecht diese Welt doch ist. Die armen, armen Verwandten der Opfer. Ein Seelenstrip des schockierten Vaters des Täters, Schülerinnen, mit einem Gesichtsausdruck wie auf dem Bild von Edward Munch, der Schrei, weckt Vergnügen an mehr. Werbepause, Klo gehen, Livereportage auf RTL, Diskussion mit einer Psychologin im ZDF. Europa hat auch endlich sein Littleton.
Doch die Rechnung des Amokläufers geht nicht auf. In weniger als einem Jahr wird sich keiner mehr an den Namen der Stadt erinnern, in der er wirkte. Vielleicht unterhalten sich zwei Intellektuelle nach dem dritten Bier darüber: "Du weißt du noch, letztes Jahr, wo an die zwanzig Lehrer und Schüler von einem Irren niedergemäht wurden. Wenn das so weiter geht."
Heuchelei, Gesabber.. alles wertlos. Microsoft schafft mit der Rechtschreibprüfung von Word im Alltag für größere emotionale Schwankungen als dieses Ereignis in der nächsten Woche. Vielleicht noch ein paar Diskussionsrunden in den Dritten. Maximal eine minimale politische Debatte. Relativierungsversuche. Naja, es gibt doch hunderttausende Schulen, und nur ein Vorfall pro Jahr, das sind kalkulierte Ausnahmen von der Norm.
Und damit sich dieser Zustand auch ja nicht ändert, wird das eigentliche Problem nie auf den Tisch kommen. Die Antwort auf die Frage, wie man solche Opfer vermeiden kann liegt in der Antwort auf die Frage, wie man dem Täter helfen kann. Und zwar rechtzeitig.
Dafür gibt es in der Politik ein probates Mittel: Die autoritäre Gesellschaft. Im Gegensatz zur libertären (die Rechtschreibprüfung von Word neigt sogar zur Lieberteeren ) Gesellschaft, in der jeder tun und lassen kann, was er will.
Das Wurzel allen Übels, ist die mangelnde Kontrolle. In einem Heer von Zwangsjacken fällt dann eben ein einzelner Irrer nicht mehr auf. Biometrische Verfahren werden uns helfen. Natürlich nur beim Kampf gegen den Terrorismus und eventuell bei der Kartographierung des gesammelten menschlichen Erbgutes. Cyberrassismus. Man könnte ja Auffälligkeiten gleich mituntersuchen.
Vielleicht war die Nachverfolgung des Nutzungsverhaltens von Internetsurfern lediglich ein groß angelegter Feldversuch. Der Name des Projektes: Das genetische Cookie. Visa sind dann wie Session-Cookies. Genetische Firewalls sind verboten.
Aber solange es keinen Verhaltensnormenkatalog gibt, wird man Abtrünnigen nur sehr schwer beikommen, unabhängig davon, wie viele Säure-Base Paare man in der Datenbank ablegt. Wer vom Codex abweicht, ist auffällig. Und könnte zum Problem werden.
(Oracle sieht übrigens schon rosige Zeiten auf sich zukommen.)
... ich halte das einfach nicht mehr aus. Ich muss etwas tun. Alle lachen schon über mich, werfen mir sorgenvolle Blicke zu. Du schaffst das schon, sagen sie. Du armes Schwein, das denken sie....
Stille Wasser sind tief. Jedoch alles andere als Beziehungen, die sich an der Oberfläche abspielen, sind in der Gesellschaft tabu. Der Mensch ist ein Sippentier. Deswegen spielt er auch so gerne. In der Fussballmannschaft. Und sauft gerne, mit den Kollegen. Oder geht zum Schützenverein. Um sich dort die Anerkennung zu holen, die er sonst von niemandem bekommt.
.. ich gehe jetzt hinein... ja ich werde es tun...
Wie in einem Film beobachtet er sich. Die Angst steigert sich bis zur Ekstase. Seine Opfer sitzen wie versteinert. Fallen von den Stühlen. Schreie hallen durch die Schule. Die Angst springt über. Schüsse. Die kommen doch von oben. Komm, lass uns abhauen. Von unten sind auch Schüsse zu hören.
... ihr werdet euch noch an mich erinnern..
Das Magazin ist fast leer. Er ist jetzt da, wo sie ihn haben wollten. Ohne jeden Ausweg.
Er weiß, er ist nicht allein. Es gibt sie, die Zeitbomben. Die Schläfer. Und schon morgen könnte der erste Nachahmungstäter erwachen. In deiner Schule. In deiner Arbeit. In deiner Familie.
Ave discentes, morituri te salutant