Eine Reise zu den Graffiti von Berlin
Die New York Times empfiehlt ihren Lesern einen Besuch in der bunten deutschen Hauptstadt
Eva Schweitzer
Seit sich New York zu einer Art Singapur am Hudson entwickelt hat, hat die New York Times ihre Liebe zu Berlin entdeckt - zum wilden West-Berlin der Graffitisprüher. Der "amerikanische besetzte Sektor" sei zu einem "Melting Pot" von einstigen Bundeswehrflüchtlingen, Punks, türkischen Immigranten und deutschen Arbeitern geworden, schrieb die Zeitung gestern und empfahl ihren Lesern, nach Berlin zu reisen, um dort Graffiti zu begucken, die es in New York, Bürgermeister Rudy Giuliani geschuldet, schon lange nicht mehr gibt. Berlin, wo Häuser, Schulhöfe und Telefonzellen besprüht würden und wo es keinen Mangel an leeren Gebäuden gebe, sehe aus wie ein "New Yorker U-Bahnwagen in den Siebzigern". Es sei die "mit Graffiti am meisten bombardierte Stadt in Europa". Diese Tradition stamme aus Kreuzberg, dem Bezirk, der auf drei Seiten von der Mauer umgeben gewesen sei. Die Mauer konnte besprüht werden, weil die Polizei in Kreuzberg so lasch gewesen war, und so durften die Sprayer dort üben, meint die Times. Tatsächlich lag die Mauer im russisch besetzten Sektor, wo die West-Berliner Polizei nicht hindurfte, aber solche Feinheiten sind aus 4 000 Meilen Entfernung wohl schwer zu erkennen. Im Osten, so die Times, habe die Stasi jeden eingesperrt, den sie mit einer Sprühdose erwischt habe. Nun aber sei die Mauer weg, und die Berliner seien froh, dass ihre triste graue Stadt mit dem "Fernsehturm aus der Sputnik-Ära, dem Geist der Mauer und den ausgebombten Kirchen" von Graffiti überzogen werde.
Die Times empfiehlt zudem die Circleculture Gallery in der Gipsstraße sowie mehrere "Graffiti-Beobachtungsplattformen" an U- und S-Bahnen. Und "Overkill", einen Laden in Kreuzberg, wo man legal Sprühdosen, Marker, Atemmasken und Graffitimuster zum Ausfüllen kaufen darf. Das wäre, so viel ist wahr, in New York längst verboten.
Berliner Zeitung, 03.03.2008