Sentino - Ich bin Deutscher Hip Hop Review
Langsam wird es eng unterm pinken 5-XL-White-Tee für die Asylum-Abziehbilder und Dipset-Deutschland-Affiliates. Beinahe jeder “Reim-auf-den-gleichen-Reim” wurde auf irgendeinem käsigen Soulgerät extra laid-back platziert und jeder noch so abstruse harlemsche Ausruf eingedeutscht. Ganz vorne dabei war, man erinnert sich, Senti Senti aus dem Hause 5vor12 Records. Schelte gab es von den konservativen Rucksacknerds, Beifall von denen, die einfach nur den im Moment heißesten Scheiß feiern wollten, yessir!
Aber nun ist 2006, die Uhr macht “Tick, tick” und es ist Zeit nach den beiden Mixtapes mit Albumformat auch das wirkliche Debutalbum folgen zu lassen. Weise schickt man dann natürlich eine Single voraus, die, zugegebenermaßen schon einen kleinen Buzz hatte. 10-sekündige youtube-Ausschnitte, noch dazu abgefilmt, zeugen schon von großem Interesse seitens der Internetgemeinde.
“Leute wollen haten? Ich wisch den Schmutz von meinen Schultern!” Man kennt ihn so, den Sentino. Arrogant-anglizistisch eingedeutschte Ansagen schon im Intro und die HipHop-Polizei in den Foren geht die Wände hoch. Doch es wird direkt Einhalt geboten und im bläser- und paukengeschwängerten Brisk-Fingaz-Opener klar gemacht, dass das mzee.com-Blaulicht für die nächsten 20 Songs gerne mal ausbleiben kann. Das langersehnte Debutalbum soll echter sein und mehr vom Menschen Sentino preisgeben. Auch wenn in Nebensätzen doch noch Freundinnen ausgespannt und Schläge angedroht werden (der “Adel verpflichtet” eben zur Verteidigung des Thrones), ist die Richtung klar: “Ein neuer König regiert das Land.”
Und der König ist deutscher Hip Hop - mit all seinen Facetten. Was sich mit der Hamburg-Berlin-Collabo “Streit” von Monstershit-Monroe und Sentino schon angedeutet hat, wird auf “Ich bin Deutscher Hip Hop” konsequent weitergeführt. Der Künstler ist älter geworden, an sich selbst gereift und nach überheblichem Gespitte auf jeder Mischkassetten zwischen Chemnitz und Zürich, soweit, sich selbst zu reflektieren und Erlebtes nach außen zu tragen. Auf dem wundervollen “Tage sind Jahre”, welches mit Klavier und 80er-E-Gitarrengezupfe Seele verbreitet, greift Sentence gekonnt das Symbol des Spiegels auf, um noch einmal zurückzublicken, auf Fehler und prägende Situationen. Nicht alles lief glatt und formte doch mit der Zeit den Menschen, der er jetzt ist.
Und auf dem Weg nach oben sind es immer wieder die Mitmenschen, die das Leben so schwierig machen. Sei es der falsche Freund (“Judas”) oder die Verflossene. Denn auf “Die Welt steht Kopf” lässt der Chauvi das erste Mal tief blicken und spielt die Zeit nach der Trennung der Exfreundin durch. Erstaunlich ehrlich, erschreckend echt und nicht selten findet man sich selbst zwischen den Zeilen wieder. Genau das, was einen wirklich großen Song ausmacht. Der Beat ist zwar astrein, meiner Meinung nach aber etwas zu treibend für ein doch eher trauriges Thema. Der “Waiting For The Beat RMX” mit Akkustikgitarrenbegleitung von Christoph Peters, zu finden auf der Single, ist hier sicherlich die bessere Wahl.
Das Highlight der Platte ist mit Sicherheit “Horizont aus Gold”. Hochgetriebener Soulsingsang, der dennoch eher seicht im Hintergrund agiert und Sentino freie Bahn lässt fürs Mutmachen und nach vorne blicken. Knapp dahinter schiebt sich “Danke Dir Mom”, ein wunderschönes Dankeslied an die eigene Mutter, auf Platz 2 der albuminternen Charts.
Eine Runde Sozialkritik wird dann auch noch zwischengestreut und wirkt ein wenig aufgesetzt und zwanghaft, wenngleich die Lyrics sicherlich sinnvoll daherkommen. Sei es die bitende Amikopiejugend, unterlegt von einem eher ekligen Headrushbeat (“Keine Kunst”) oder die unverständliche Politik auf “Vater Staat”.
Dass der junge Berliner immer noch ganz on top ist, was die Aufzählung von Kopf-, Ohr- und Handschmuck sowie Stylewahnsinn von Bathing Apes bis hin zu New Era Caps angeht, beweist er gekonnt auf Stücken wie dem, durch eine kurze Preview schon bekannten, “Twinkle Twinkle”. Kinderlied trifft Crunk, irgendwie. Und Sentence rastet boastingmäßig mit Stylewahnsinn wie z.B. Flatscreens im Ohr und Kuckucksuhren am Handgelenk aus. Wer hier die Ironie nicht peilt, ist selber Schuld. Der sonst innovativ-konservative Hightechsynthiebassmeister DJ Ilan schraubt in der Hook von “Berlin Berlin” dann gerne mal ein Vocalsample runter - denn schließlich will die B-Stadt ja gebührend repräsentiert werden. Mit dabei auch zwei der heißesten, jungen und hungrigen Spucker im aktuellen Spiel.
Manuellsen erklärt auf “Catch mich” kurz, wo man ihn im Pott antreffen kann und Megaloh zerpflückt einen bombastischen Monroebeat bis auf das Gerippe und lässt bei “Frühstück für Champions” mit Senti im Tagteam hier und da gefährliche Schlagzeilen fallen. Next to blow, mit Sicherheit.
Nach knapp 80 Minuten steht man irgendwie anders da. Anders, da sich einem hier ein Sentino auf Albumlänge präsentiert, der ausgetauscht scheint. Da wird sich nicht mehr bei gerade gängigen Genres bedient, sondern etwas eigenes, etwas persönliches geschaffen. Wenngleich noch nicht jeder Song rund ist, hier und da oberflächliche Deepness mit tiefgreifender Ehrlichkeit verwechselt wird, Sentence ist noch jung und hat viel vor sich. Aber deutscher Hip Hop ist er auch schon jetzt. Mehr, als sich viele seiner Kollegen und ihr euch vielleicht eingestehen möchtet.