Die Brücke e.V. in München hat uf einen Artikel mit einem Leserbrief reagiert.
Ich darf ihn für Euch reinsetzen:
Zum Artikel: "Polizei rechnet mit Graffiti - Welle" vom 06.08.01
In ihrem Artikel über den tragischen Tod zweier Graffiti - Sprüher vom letzten Freitag schrieb Astrid Becker davon, dass die langjährige Diskussion über die Freigabe von legalen Flächen für graffitibegeisterte junge Menschen anlässlich dieses Vorfalls wieder aufleben werde.
Tut sie das wirklich und wenn ja, wo wird diese Diskussion geführt? - Aufgrund dieses Artikels entsteht m.E. jedenfalls eher das Bild von jugendlichen "Kicksüchtigen" und Unbelehrbaren: Junge Menschen, die sich weder durch die erhöhte Präsenz der Polizei bzw. des BGS noch durch hohe zivilrechtliche Forderungen davon abhalten lassen, ihre Bilder im öffentlichen Raum illegal darzustellen. Außer Zweifel wird in dem vorliegenden Artikel auch gelassen, dass es sich bei den Sprühern generell um Verächter von legalen Angeboten handelt.
Weshalb also sollte eine derartige Diskussion geführt werden? - Vielleicht weil sich die Frage nach dem "warum" aufdrängt, die Zweifel an dem pauschalen Bild einer kicksüchtigen, renitenten Jugend aufwirft? Oder weil es eine Tatsache ist, dass die zwei legalen Flächen, die der gesamten writerszene in München zur Verfügung gestellt werden (Tumblingerstrasse und Feierwerk - Hauswand) bereits mehrere Zentimeter dick übermalt sind, weil sie so stark in Anspruch genommen werden? Oder weil bei einer näheren Auseinandersetzung mit dem Thema erkannt werden müsste, dass dieses legale Angebot für eine Szene, die laut Polizeischätzung (AZ vom 4./5.08.01) ca. 2000 Jugendliche umfasst, nie und nimmer als ernstzunehmende Alternative bezeichnet werden kann? Vor allem deshalb nicht, weil es für die Graffitimaler bekanntermaßen um Ruhm, (An-) Erkennung und Kommunikation im öffentlichen Raum geht, Dinge die nicht an den hiesigen legalen Wänden zu erreichen sind, weil die dort angebrachten Bilder aufgrund des Platzmangels kurzlebiger sind als ihre illegalen Pendants.
Ein weiterer Denkansatz, der diese Diskussion entfachen könnte, bestünde in einer Betrachtung dieses Phänomens mit einer anderen Erwartungshaltung: die der selbsterfüllenden Prophezeiung. Nach Meinung Watzlawik's zieht die Ausgrenzung einer Randgruppe aus der Gesellschaft den "selbstgewählten" Ausschluss dieser Randgruppe nach sich: "Wird zum Beispiel einer Minderheit der Zugang zu bestimmten Erwerbsquellen (etwa Landwirtschaft oder Handwerk) deswegen verwehrt, weil sie nach Ansicht der Mehrheit faul, geldgierig und vor allem‚ volksfremd' sind, so werden sie dazu gezwungen, sich als Trödler, Schmuggler, Pfandleiher und dergleichen zu betätigen, was die abschätzige Meinung der Mehrheit ‚klar' bestätigen wird." (Watzlawik, Anleitung zum Unglücklichsein) - Möchte man also das Gegenteil erreichen, erforderte dies die Integration dieser ‚Randgruppe' in unserer Gesellschaft, z.B. über das Bereitstellen von legalen Flächen. Dies wiederum könnte dazu führen, dass Graffitimalerei eines Tages so normal werden würde wie es heutzutage ist, die minderjährigen Freunde/innen seiner Kinder im eigenen Haus übernachten zu lassen. Und angesichts von soviel Normalität würde schließlich auch kein Jugendlicher mehr auf die Idee kommen, sein Leben auf's Spiel zu setzen - die Unbelehrbaren ausgenommen.
Julia Schneider, Dipl. SozialPäd.,
Angestellte bei der
BRÜCKE e.V. München
im Projekt Graffiti München (ProGraM)
Einsteinstr. 92
81675 München