Karl May gehört wohl nicht mehr zur Jugendlektüre unserer Politiker. Wer nur das "ordentliche" Deutschland kennt, wo Verkehrsschilder nicht als Aufforderung zum Widerstand gegen die Staatsmacht aufgefasst werden und bei öffentlichen Rasenflächen "Verboten" Schilder ohne weitere Erklärungen braves Bürgerverhalten garantieren, ist im Orient fehl am Platze. Im Basar gibt es keine Fixpreise. Alles ist nur Richtlinie. Wer den Kunden oder Verkäufer übers Ohr gehauen hat, ist Sieger. Beide sind Sieger, wenn der Basarhändler mit gefälschter Ware seinem betrogenen Kunden das Gefühl vermittelt hat, ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Garantieschein und Umtauschrecht sind deutsche Erfindungen, denn im Orient gilt der Handschlag mehr als eine gedruckte Quittung.
Was kümmert es den libanesischen Fouad Siniora, wenn er die UNO-Resolution 1701 so interpretiert, wie es ihm und seinen Ministern der unbesiegten Volksmiliz Hisbollah gefällt. Wenn die Völker in New York beschließen, dass UNO-Truppen der libanesischen Armee bei der Verhinderung von Waffenschmuggel nur "assistieren" sollen, so ist doch klar, dass die hochmodernen Fregatten aus Bremen oder Emden nicht stören dürfen. Also hält man sie auf Distanz von Küstengewässern, wo die libanesische Armee mit ihren beiden uralten Langsambooten (die libanesische Version von Schnellbooten) augenzwinkernd den flinken Schmugglern zuschaut. Und wenn dennoch illegale Katjuscharaketen ins Land gelangen, ist ohnehin Israel schuld. Denn israelische Bomber haben alle Radarstellungen der libanesischen Armee zerstört, nachdem die Hisbollah mit Hilfe einer solchen Stellung chinesische C-802 Raketen auf eine israelische Fregatte gelenkt hatte. Das israelische Kriegsschiff erlitt einen Volltreffer, weil die blauäugigen Israels ihre Abwehr-Elektronik abgeschaltet hatten, im "Wissen", dass die Hisbollah über keinen Radar verfüge. Einen dabei versenkten ägyptischen Frachter beachtete niemand.
In Deutschland wird diskutiert, welchen Sinn es mache, sich im Orient die Finger zu verbrennen. Eine gute Frage, auf die es keine einfache Antwort gibt. Wer glaubt, mit 1200 Soldaten, fern der Küste des Libanon, im lauwarmen Mittelmeer, einen "Beitrag zum Frieden" leisten zu können oder gar den Nahostkonflikt zu lösen, hat in den letzten hundert Jahren keine Zeitung gelesen. Wer sich, wie Gregor Gysi, bei einem Interview mit n-tv, davor ängstigt, "junge Leute in eine solche Konfliktsituation zu schicken", sollte sich fragen, wozu es eigentlich Militär gibt und ob Soldaten nur gestandene Männer und Greise sein sollten. Aus Angst, vielleicht einem Juden gegenüber zu stehen, hat Berlin schon beschlossen, keine Bodentruppen zur syrisch-libanesischen Grenze zu schicken, weit, weit von Israel entfernt.
Noch hat sich kein Dummer gefunden, der seinen Kopf hinzuhalten und kämpfen will, um den wahren Sinn der UNO-Resolution zur Beendigung des Krieges zwischen Israel und der Hisbollah mit Inhalt zu füllen: die Hisbollah-Miliz zu entwaffnen und sie der Fähigkeit berauben, mit Raketen und Panzerfäusten iranischer, syrischer, chinesischer und russischer Herkunft auf Gutdünken und Kosten des Libanon wieder Krieg gegen das Nachbarland zu führen. Wer glaubt, allein mit der Entsendung von Soldaten die UNO-Verpflichtung erfüllt zu haben, versteht nicht, worum es auf dem nahöstlichen Schlachtfeld geht. Und wenn die Soldaten mit ihrem "robusten Mandat" jeglichem "Kampfeinsatz" aus dem Weg gehen sollen, sind sie besser als Statisten in einem Hollywood-Film aufgehoben.
Falls niemand Iran und Syrien hindert, die Hisbollah erneut mit Raketen zu beliefern, wird es unweigerlich bald wieder Krieg geben. In diesem Punkt ist Israel absolut berechenbar! Der schwachen libanesischen Regierung und ihrer Armee ist das seit dreißig Jahren nicht zuzumuten. Das Theater um Seemeilen und die ultimative Forderung nach einem Ende der israelischen Blockade, noch vor Ankunft der Truppen, ist ein durchsichtiges Manöver, erst einmal den Waffenschmuggel neu zu gestalten. Und für Syriens Versicherung an Kofi Annan, selber den Schmuggel eindämmen zu wollen, gab es am Dienstag einen überdeutlichen "Vertrauensbeweis". In Rmaile nahe Sidon tötete eine ferngezündete Bombe vier Leibwächter von Samir Schehade. Jener Polizeioffizier hat vier in den Mordfall von Rafik Hariri verwickelte prosyrische Generäle verhaftet. Nur Syrien steht im Verdacht, Politiker wie Hariri, Syrien-kritische Journalisten und diesen Ermittler aus der Welt zu schaffen.
Bei Iran ist der Westen am Ende seiner diplomatischen Weisheit angelangt. Syrien mordet, um UNO-Resolutionen zum Scheitern zu bringen und die "Armee" der Hisbollah-Miliz provozierte einen Krieg, ohne UNO-Mitglied oder Staat zu sein und Sanktionen befürchten zu müssen. Obgleich Kriegspartei, wird die Hisbollah in UNO-Resolutionen und offiziellen Erklärungen nicht einmal beim Namen genannt. Dieser Mischung aus Missachtung des Völkerrechts, Mafia-Methoden, Mord und unberechenbarer Kriegslust, kann man nicht mit gutem Zureden und Verbotsschildern auf gepflegten Rasenflächen begegnen. Um Gewalt zu verhindern, muss man selber zum Kampfeinsatz entschlossen sein. Sonst lachen doch nur jene, die man angeblich abschrecken will: Nasrallah, Assad und Ahmadinidschad.