Europa hat unbestreitbar Leistungen zu verzeichnen. Aber wir haben das Gefühl, dass es der Dampf der fünfziger und sechziger Jahre ist, der Europa in Fahrt hält. Nach dem Weltkrieg schuf die Generation der Grosseltern mit Fleiss den jetzigen Wohlstand, aber die gegenwärtige Generation ist mehr parasitisch als produktiv. Diese Generation sieht sich einer halsabschneiderischen Welt gegenüber, von der sie sich nicht abkoppeln kann.
Niemand glaubt, dass der Iran oder sonst eine islamische Macht in Europa einmarschieren wird.
Sie braucht nicht einzumarschieren. Alles, was sie braucht, ist eine Dreistufenrakete mit einer 40-Kilotonnen-Ladung, und dann kann sie den Deutschen sagen: «Wir wollen, dass ihr uns dies und dies und dies verkauft; wir wollen, dass ihr Israel jede Unterstützung versagt. Wenn ihr es nicht tut, dann haben wir die Möglichkeit, Frankfurt zu zerstören. Uns ist egal, was ihr dann mit Teheran macht, weil wir das Paradies dem irdischen Leben vorziehen, weil wir uns von einem Imam in einem Ziehbrunnen leiten lassen und nicht an eure Aufklärung glauben.» Die Europäer sind bisher davongekommen, weil das europäische Modell die alte französische Aussenpolitik imitierte. Es gelang ihnen, Feinden des Westens Handelsbeziehungen und moralische Unterstützung anzubieten und zugleich die USA so weit zu beruhigen, dass sie ihre Truppen und ihre Unterstützung Europa nicht entzogen. Europa besass den Rückhalt durch die amerikanische öffentliche Meinung. Doch heute steht der US-Öffentlichkeit Europa bis zum Hals; im Landesinnern, abseits der Ost- und Westküste, gibt es bereits einen neuen Antieuropäismus.
Antiamerikanismus ist ein psychologisches Phänomen: Nachdem eine Gruppe wohlhabender, gebildeter Menschen ihren Wunsch nach einer waffenlosen, sozialistischen Utopie erfüllt sah, merkten diese Leute, dass sie im freien Markt nicht mithalten können, dass ihr Sozialnetz sich nicht aufrechterhalten lässt, dass sie nicht fähig sind, Einwanderer aus der islamischen Welt zu integrieren, dass ihre Demografie nicht mehr stimmt, dass ihr System am Ende ist. Ihre Frustration leben sie nun an Amerika aus, statt die eigenen Probleme anzupacken.
Europäische Intellektuelle kritisieren die USA, weil sie es dürfen und können. Sie können es, weil sie unter dem Schirm des westlichen Kapitalismus stehen, der ihnen einen hohen Lebensstandard gibt, und unter dem Schirm des amerikanischen militärischen Potenzials, das sie vor denen, die sie bedrohen, schützt. Aber sobald sie sich in ihrer Lebensweise bedroht fühlen – sei es durch muslimische Forderungen in Frankreich, durch den Mord an Theo van Gogh, die Affäre mit den dänischen Karikaturisten, die Anschläge in Madrid und London –, geraten sie in eine Vertrauenskrise.