SPIEGEL ONLINE: Ist das in der Migrationsdebatte tatsächlich der einzige machtvolle Frame? Im Sommer 2015 prägte der Begriff "Willkommenskultur" die Debatte - der weist doch klar auf Offenheit, nicht auf nationales Interesse hin.
Wehling: Die Entscheidung von Kanzlerin
Merkel hätte 2015 eine epische diskursive Kraft entwickeln können. Aber die Chance wurde vertan. Der Frame "Willkommenskultur" ist aber ohnehin
nicht tragfähig genug; umfasst er doch nur eine freundliche Begrüßung von Gästen, nicht aber Verantwortung für die Integration. Aber Merkels "Wir schaffen das" war tatsächlich ein Sprungbrett für Rechtspopulisten. Egal, wie gut gemeint das in dem Moment war: Merkel definierte Schutzsuchende als Last, die man "schafft" - und schon ist man wieder bei einer Debatte um Ressourcenverteilung.
SPIEGEL ONLINE: Wie hätte sie es besser formulieren können?
Wehling: "Deutschland ist ein gutes Land, wir verhalten uns jetzt anständig und zeigen moralisches Rückgrat, wir werden das Prinzip der Menschlichkeit achten". Dann wären wir heute vielleicht bei einer Debatte über Empathie, Anstand und moralischen Wohlstand gelandet. Ein AfD-ler oder eine AfD-lerin hätte nicht sagen können "Nein, wir schaffen das nicht." Sondern höchstens ganz direkt: "Wir werden das Prinzip der Menschlichkeit nicht achten."