Ich fand diesen NZZ-Artikel ganz interessant und auf den vergangenen Seiten hier wurde auch viel orakelt und gemeint, was hinter (ausbleibenden) Panzerlieferungen steckt oder womit es zusammenhängen könnte. Spoiler:
it's [u.a.]
the econonmy, stupid
Anhang anzeigen 87952
https://www.nzz.ch/international/ka...gsinteressen-lassen-scholz-zoegern-ld.1722377
Ist mal interessant, etwas Genaueres über die Zusammenhänge zwischen Rüstungsindustrie und dem Ukraine-Krieg zu lesen, danke für den Link.
Allerdings ist die Annahme, dass rüstungspolitische Interessen einen derart großen Effekt auf das amerikanische Vorgehen bei der Unterstützung der Ukraine haben, m. E. zu weit hergeholt, bzw. spielen diese wohl eine weit untergeordnetere Rolle, als man das im Artikel auf dem ersten Blick herauslesen mag (jedenfalls ging das mir so).
Im Artikel wird ja auf zwei Vorteile eingegangen, die sich für die Amerikaner ergeben, sollten Leopards an die Ukraine geliefert werden, Abrams allerdings nicht, wirtschaftliche und die bündnispolitische.
Der Artikel nennt die Zahl von 21,7 Mrd. USD (das ist sicherlich eine sehr spekulative Zahl, aber benutzen wir sie mal als grobe Orientierung), die die Vereinigten Staaten einfahren könnten, wenn die europäischen Waffenlieferungen an die Ukraine ihrerseits durch amerikanische Anschaffungen ersetzt werden. Angesichts der Tatsache, dass der Gesamtumsatz der US-Waffenindustrie alleine pro Jahr wohl etwa das zehnfache beträgt (exakte Zahlen sind da nicht so leicht herauszufinden aufgrund unterschiedlicher Definitionen) und der im Artikel genannte Betrag sicherlich auf einen längeren Zeitraum verteilt würde, leuchtet es mir nicht ein, weshalb die amerikanische Regierung hier aufgrund dieser Summe ihr Handeln im wohl gefährlichsten Konflikt der letzten 60 Jahre bestimmen lassen sollten. Auch ein Faktor von 2, 5 oder meinetwegen 10 aufgrund der notwendigen Nachrüstung oder Folgeverträgen macht da auf mehrere Jahrzehnte verteilt keinen enorm großen Unterschied. Dass die US-Rüstungsindustrie zwar riesig ist, aber dennoch
wirtschaftlich in Relation eher weniger bedeutend für die heimische Ökonomie ist (zur Erinnerung: das US-BIP beträgt deutlich über 20 Billiarden USD) relativiert diesen Aspekt noch weiter.
Zudem kommt ja noch hinzu, dass die Amerikaner selbst der größte Waffenexporteur an die Ukraine sind, sodass es sich jetzt nicht so darstellt, dass die europäischen Nationen sich nach Plan der Amerikaner rüstungstechnisch aussaugen lassen, um dann bereitwillig mit Waffen der Amerikaner versorgt zu werden.
Der andere Grund, der ja genannt wurde, ist der geo-/bündnispolitische Aspekt, wonach die waffenimportierenden Nationen in eine mittel- bis langfristige Abhängigkeit der Vereinigten Staaten aufgrund der komplexen Instandhaltung und notwendigen Ersatzteilbeschaffung geraten. Dies mag zwar so sein, allerdings besteht von dieser Seite aus doch überhaupt keine Notwendigkeit für die USA, solche Abhängigkeiten zulasten einer (vermuteten) vorteilhafteren Konfliktlösung zu vergrößern. Die europäischen Staaten sind fast vollständig aufgrund der NATO militärisch und sicherheitspolitisch eng mit Nordamerika verflochten, und die Tendenz zeigt nun aufgrund der Invasion eindeutig wieder in Richtung einer tieferen Integration. Mag der Blick der Amerikaner auch auf den Indopazifik schielen, so wird sich an der engen Zusammenarbeit zwischen Europa und Nordamerika (vorausgesetzt, die innenpolitischen amerikanischen - nicht europäischen - Verhältnisse lassen dies zu) alleine schon aufgrund der derart großen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen, sprachlichen und geschichtlichen Gemeinsamkeiten nichts so schnell ändern. Selbst wenn der letzte Satz nicht gilt und nur ein enges sicherheitspolitisches Bündnis fortbestehen sollte, ist dies auch ohne rüstungspolitische Abhängigkeiten gewährleistet.
Folglich ist eine Leopardlieferung an die Ukraine ohne eine gleichzeitige Lieferung der Abrams-Panzer sicherlich für die Amerikaner nicht nachteilig. Aber dass in einem solch wichtigen Konflikt mit seinen weitreichenden Auswirkungen aufgrund dieser beinahe schon graduellen wirtschaftlichen und bündnispolitischen Vorteile die komplette Konfliktstrategie davon signifikant beeinflusst wird, daran möchte ich stark zweifeln.