Das bestätigt meinen Eindruck, dass es zwei gegenläufige Trends zu geben scheint. Einerseits die junge Generation, die immer progressiver denkt und die Alten, die sich immer stärker an die Traditionen klammern. Wenn ich mit jungen Türken über Politik rede, läuft das auch in der Regel darauf hinaus, dass sie mir nen Vortrag darüber halten, wie abstoßend sie die AKP finden. Allerdings würde mich mal interessieren, wieviele Unterstützer die AKP bei den zwanzig- bis dreißigjährigen tatsächlich hat. Dass es z.B. immer mehr Cocktailbars mit Gebetsräumen gibt, deutet darauf hin, dass auch ein Teil der jungen Leute immer religiöser wird.
Ich mach mir um die AKP keine Sorgen. Ich vermute, dass ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung sie vor allem wegen der erfolgreichen Wirtschaftspolitik wählt. Und deren Schmerzgrenze, was "religiöse Reformen" betrifft, dürfte deutlich tiefer liegen als "Sharia in der Türkei".
Und die alte Generation stirbt eben auch irgendwann. Vielleicht ist die AKP sowas wie ein letztes Aufbäumen. Wer weiß?
seh ich genauso
wieso wurde er angegriffen?
Der Punkt mit den AKP-Wählern ist sehr interessant. Ich halte die AKP Wähler eben auch nicht als eine "homogene" Masse, die versucht islamischer Traditionen durchzusetzen. Es ist mehr die Wirtschaftspolitik - wobei dort auch sehr viel Augenwischerei betrieben wird. Aber man kann halt nicht leugnen, dass die Türkei in den letzten 10 Jahren enorm an Wirtschaftskraft zugelegt hat, aber nicht nur das, sondern sie werden sich auch ihrer geopolitischen Lage und Rolle bewusst. Die Türkei tritt extrem selbstsicher auf - stellenweise sogar arrogant. Die Frage ist, ob eine Nachfolgeregierung (wenn denn die AKP nicht mehr gewählt wird) es weiterführen kann.
Zu der Altergruppe der AKP kann ich nicht viel sagen, dafür habe ich nicht genug Quellen gelesen. Ob es eine religiösen Ruck unter Jugendlichen gibt... ich weiß es nicht, es könnte durchaus sein muss aber nicht. Vor allem deshalb nicht, weil ja selbst unter den "religiösen" Leuten nochmals der Grad der Religiösität wechselt.
Diese Cocktailbars mit Gebetsräumen sind halt auf den ersten Blick sehr fragwürdig, jedoch - ich bin mir da aber nicht sicher - denke ich, dass das mehr auf Angebot und Nachfrage zurück geht. Man muss sich das so vorstellen: Die Konservativen Menschen sind ja nicht aus dem Nichts entsprungen. Es gab schon immer konservative Leute in der Türkei, jedoch waren sie bis vor 10 Jahren der arme Bevölkerungsteil und parlamentarisch unterrepräsentiert. Die AKP hat dies geändert und es ist halt eine konservative Mittelschicht entstanden. Durch diese Mittelschicht bzw. durch den finanziellen Aufschwung können sich diese Leute nun mehr leisten als zuvor. Sie sind somit zu einer Zielgruppe geworden, auf die sich der Markt jetzt spezialisiert. Dies hat halt viele Formen: modische Kopftücher, hasemas oder eben Cocktailbars mit Gebetsräumen.
Und genau an diesen Punkten entsteht auch meistens der Konflikt zwischen der alten kemalistischen Elite und der neuen konservativen Elite. Die einen sehen eben in diesen Cocktailbars eine Radikalisierung der Jugend, die anderen fühlen sich dann von Kopftuchverboten an der Uni benachteiligt (bspw.).
Der aktuelle Oppositionsführer (Kilicdaroglu) hat vor kurzem mal was ganz interessantes gesagt. Er meinte "Die AKP ist nicht an der Macht, weil sie eine gute Politik betreiben, sondern weil wir so eine schlechte Politik betreiben"
Das Problem mit den Oppositionen heute liegt einfach darin, dass sie versuchen der AKP eine Agenda zuzuschreiben, anstatt mal ihre Politik zu überdenken und wirklich für Veränderung zu suchen.
In der Türkei gibt es noch soviele Baustellen: Schulsystem, Wissenschaft & Forschung, Dienstleistungen... trotz der Modernität der Türkei, kann man als Politiker noch soviel ändern. Aber die bekriegen sich nur selbst.
