Deutschland muss jetzt (Atom-)Strom importieren
Das Atom-Moratorium macht die größte europäische Volkswirtschaft zum Strom-Importeur. Es mehren sich die Anzeichen für steigende Strompreise.
Seit die Bundesregierung sieben Atomkraftwerke vorübergehend stillgelegt hat, ist Deutschland auf Stromimporte angewiesen. Das ergibt sich aus den Daten, die der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) auf der Hannover Messe präsentiert hat. Zudem seien die Preise für fast alle Stromprodukte am Terminmarkt der Energiebörse EEX angestiegen, erklärte der Branchenverband.
Im Stromaustausch mit den europäischen Nachbarländern seien „erhebliche Veränderungen“ sichtbar, seit die Bundesregierung am 17. März im sogenannten „Atom-Moratorium“ die Abschaltung der ältesten sieben Meiler angeordnet hatte, sagte die Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, Hildegard Müller, in Hannover.
So wurden vor dem Moratorium noch – wie in dieser Jahreszeit üblich – zwischen 70 und 150 Gigawattstunden Strom pro Tag exportiert. Nach der Abschaltung der deutschen Meiler am 17. März kehrte sich der deutsche Stromüberschuss um.
Seither werden pro Tag 50 Gigawattstunden importiert. „Die Stromflüsse aus Frankreich und Tschechien haben sich verdoppelt, die Stromflüsse in die Niederlande und in die Schweiz haben sich halbiert“, sagte Müller.
Da sich Frankreich zu 80 Prozent und Tschechien zu 34 Prozent aus Kernkraftwerken versorgt, ist davon auszugehen, dass es sich bei den importierten Kilowattstunden in der entsprechenden Menge um „Atomstrom“ handelt, der nach Deutschland fließt.
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„In den ersten 20 Tagen seit dem Moratorium sind die ausgefallenen Strommengen also überwiegend durch einen Anstieg des Importsaldos ausgeglichen worden“, führte die Verbandschefin aus.
Ob Deutschland aber bei dauerhafter Abschaltung der Reaktoren auch dauerhaft zu einem Stromimporteur werde, hänge davon ab, in wie weit die bestehenden konventionellen Kraftwerke intensiver genutzt werden könnten. Sie bedaure, dass sich die Atom-Ausstiegsdebatte derzeit auf die erneuerbaren Energien verenge, sagte Müller. Die neuen Zahlen zeigten nun, dass auch „ausreichende Gas- und Kohlekraftwerkskapazitäten zur Verfügung stehen“ müssten.
Die Bundesregierung erklärte, sie prüfe derzeit die Auswirkungen des Moratoriums auf den deutschen Strommarkt. Eine Sprecherin des Bundesumweltministeriums erklärte, schon vor dem Moratorium sei Strom aus Frankreich importiert worden.
Sie widersprach der Darstellung, Deutschland sei insgesamt ein Netto-Stromimporteur geworden: „Wir bleiben Netto-Stromexporteur.“ BDEW-Sprecherin Müller erklärte jedoch, aufs Jahr bezogene Durchschnittswerte „helfen uns nicht weiter“. Für die Versorgungssicherheit und Netzstabilität sei vielmehr entscheidend, dass das Stromangebot in jeder Sekunde des Jahres genau der Stromnachfrage entspreche.
Der Ausfall der Strommengen aus deutschen Reaktoren habe an den Großhandelsmärkten zudem „zu steigenden Preisen bei allen gehandelten Produkten geführt“, erklärte der BDEW weiter. So seien die Preise im Terminmarkt für die Quartale 2011 in der Grundlast um zwölf Prozent gestiegen, ebenso die Terminkontrakte für 2012. Emissionsberechtigungen für das Treibhausgas CO2 hätten sich im Schnitt um zehn Prozent verteuert, weil nun verstärkt fossil befeuerte Kraftwerke die CO2-freien Kernkraftwerke ersetzen müssen.
Die vom BDEW erhobenen Zahlen bestätigten Aussagen des Energiekonzern RWE vom Vortag. In einem Interview mit „Welt Online“ hatte der RWE-Manager und ehemalige Hamburger Umweltsenator Fritz Vahrenholt (SPD) vor einem Blackout in Süddeutschland gewarnt, der derzeit nur noch „durch die erheblichen Stromimporte aus Frankreich und Tschechien verhindert“ werde.
Mehr Importe seien jedoch nicht möglich: „Die Leitungen von dort sind bis zum Anschlag ausgelastet“, sagte der Chef der RWE-Sparte für Erneuerbare Energien, Innogy. Zuvor hatten auch Netzbetreiber davor gewarnt, dass es zu „kritischen Situationen“ im deutschen Stromnetz kommen könne, weil im Mai fünf weitere deutsche Atomkraftwerke turnusgemäß zur Revision abgeschaltet werden.
Der Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Thomas Lindner, sagte auf der Hannover Messe, die Atomwende setze den beschleunigten Umbau der Netze voraus. „Wir können es uns nicht mehr leisten, bei jeder Überquerung eines Tales jahrelange Prozesse mit betroffenen Anrainern zu führen“, erklärt Lindner.
Dies werde eine spannende politische Herausforderung, insbesondere für die Grünen. „Energiepolitik darf nicht nach Gefühl und Wellenschlag funktionieren, sondern muss Stabilität auf viel Jahre hinweg bringen.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte bereits bei der Eröffnung der Hannover Messe gefordert: „Wer zu Erneuerbaren Energien ja sagt, der muss auch zum entsprechenden Ausbau der Infrastruktur ja sagen.“