Neues von der Heimatfront - Der Thread für deutsche Politik III

Wenn man sich die letzten ltw in Sachsen ansieht, ist das ampel bashing als Erklärung ziemlich dünn.
Afd hatte 2019 schon knapp 28%, 2014 wäre NPD um haaresbreite ins Parlament eingezogen. Da mit Frust wegen Wärmepumpen und paar Monaten Maske in der Bahn tragen zu kommen überzeugt mich nicht.
Glaub da ist knüppelhart rechts wählen einfach grundsätzlich für weite Teile der Bevölkerung völlig unproblematisch
 
wenn man sich europa anschaut, ist der osten und der erfolg der rechtsextremen kein einzelfall - das findet man überall aus teils ähnlichen gründen und die prozente der afd entsprechen auch denen von frankreichs oder italiens rechten

was ostdeutschland aber abhebt ist die ddr-zeit und besonders die erfahrung der wendezeit mit all seinen ökonomischen und psychologischen folgeschäden für die menschen

die haben von heute auf morgen ihren job und ihr sicherheitsnetz verloren und wurden medial und politisch wie die dummen behandelt, deren ausbildung und können nutzlos sei für die marktwirtschaft
das zieht sich durch bis in die gegenwart. klar kann man auf den fakt, dass im osten der durchschnitsslohn 20% geringer ist, entgegegnen, dass die mieten auch geringer seien
gleichzeitig ist aber auch das vermögen um ein vielfaches geringer und das armutsrisiko ist 6 mal höher
der ostdeutsche anteil an der erbschaftssteuer beträgt btw 2%; ostdeutsche städte sind zu einem sehr hohen prozentualen anteil in der hand westdeutscher mieter, die ostdeutschen betriebe in staatshand wurden an westdeutsche verscherbelt und dann dichtgemacht oder geschrumpft usw.
man kann da noch hundert andere fakten nennen, die auf meinen punkt von oben hinauslaufen: die erfahrungen und krisen der ostdeutschen nach der wende sind nicht grade optimal dafür ein gesundes vertrauen in institutionen zu entwickeln und der fehlende wohlstand führt halt dazu, dass man auf inflation und steigende energiepreise viel empfindlicher reagiert

dazu kommt dann noch ein rechter kulturkampf, der in zeiten von polykrisen aufblüht und eine schlechte politik von aktueller regierung und vorherigen regierungen in vielfältiger weise
Das bringt es sozialpsychologisch oder wie man das nennt genau auf den Punkt finde ich.

Extreme Unsicherheit und Misstrauen gegenüber dem Staat, Autoritäten, Verwaltung und dem Westen im Allgemeinen aus der eigenen Lebenserfahrung heraus und die tiefe persönliche Erfahrung von (ökonomischen) Lebenskrisen, Umwälzungen, usw.

Das lese ich tatsächlich bei fast allen Leuten "von drüben" die ich kenne raus. Ich kenne sogar Leute, die verzichten ohne Not darauf eine Steuererklärung zu machen, obwohl sie etwas wiederkriegen würden, oder auf sonstige Dinge, die ihnen wie jedem anderen zustehen, einfach weil sie nichts mit dem Staat zu tun haben wollen und eine tiefe Angst davor haben, zu Unrecht kontrolliert oder gefickt zu werden. Der Staat ist etwas böses und Misstrauen und eine Abwehrhaltung wie ein natürlicher Reflex.

Parolen und Populismus gegen den Staat, "die da oben", die westliche Mehrheitsgesellschaft, usw. fallen bei so einer Lebenserfahrung und psychologischen Ausgangslage natürlich auf einen dankbaren und fruchtbaren Nährboden.

Das entschuldigt natürlich nicht, Nazis zu wählen, aber erklärt es für mich immerhin ein wenig.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich verstehe es halt gar nicht. Wenn die "da oben" so richtig menschenfeindliche Nazis sind, wird es besser? :D

Nope. Keinerlei Verständnis.
 
Is doch der selbe Effekt wie bei trump, der Milliardär, der absurderweise als anti Establishment wahrgenommen wird
 
Das bringt es sozialpsychologisch oder wie man das nennt genau auf den Punkt finde ich.

Extreme Unsicherheit und Misstrauen gegenüber dem Staat, Autoritäten, Verwaltung, dem Westen im Allgemeinen aus der eigenen Lebenserfahrung und die tiefe persönliche Erfahrung von (ökonomischen) Lebenskrisen, Umwälzungen, usw.

Das lese ich tatsächlich bei fast allen Leuten "von drüben" die ich kenne raus. Ich kenne sogar Leute, die verzichten ohne Not darauf eine Steuererklärung zu machen, obwohl sie etwas wiederkriegen würden, oder auf sonstige Dinge, die ihnen wie jedem anderen zustehen, einfach weil sie nichts mit dem Staat zu tun haben wollen und eine tiefe Angst davor haben, zu Unrecht kontrolliert oder gefickt zu werden. Der Staat ist etwas böses und Misstrauen und eine Abwehrhaltung wie ein natürlicher Reflex.

Parolen und Populismus gegen den Staat, "die da oben", die wesentliche Mehrheitsgesellschaft, usw. fallen bei so einer Lebenserfahrung und psychologischen Ausgangslage natürlich auf einen dankbaren und fruchtbaren Nährboden.

Das entschuldigt natürlich nicht, Nazis zu wählen, aber erklärt es für mich immerhin ein wenig.
so weit würde ich nicht gehen
im gegenteil erlebe ich bei freunden und verwandten eher theoretisch den wunsch nach mehr staat
aber halt ein staat der wirklich was durchsetzt, gestaltet und sinnvoll entscheidet
ich weiß nicht mehr genau wer das letztens gesagt hat, es war glaube ein faz journalist, aber die afd wird von vielen als einzige partei wahrgenommen, die noch wirklichen politischen gestaltungswillen hat und nicht nur versucht sich die ganze zeit irgendwie durchzuwurschteln
da ist meiner meinung auch was dran egal wie sehr man diesen gestaltungswillen der afd auch verachtet oder wie unrealistisch die forderungen sind
aber das ist nochmal ein ganz eigenes thema für sich wozu man auch ganze turos zu schreiben könnte
 
so weit würde ich nicht gehen
im gegenteil erlebe ich bei freunden und verwandten eher theoretisch den wunsch nach mehr staat
aber halt ein staat der wirklich was durchsetzt, gestaltet und sinnvoll entscheidet
ich weiß nicht mehr genau wer das letztens gesagt hat, es war glaube ein faz journalist, aber die afd wird von vielen als einzige partei wahrgenommen, die noch wirklichen politischen gestaltungswillen hat und nicht nur versucht sich die ganze zeit irgendwie durchzuwurschteln
da ist meiner meinung auch was dran egal wie sehr man diesen gestaltungswillen der afd auch verachtet oder wie unrealistisch die forderungen sind
aber das ist nochmal ein ganz eigenes thema für sich wozu man auch ganze turos zu schreiben könnte
finde den gruenen kann man den gestaltungswillen auch nicht absprechen, unabhaengig davon wie man das jetzt findet von waermepumpen, eautos, solar und wind statt kernenergie und kohle waermedaemmung, biologische tierzucht usw. nur ist bei denen halt alles auf hoehere kosten ausgelegt ...zumindest kurz bis mittelfristig. also nur der reine gestaltungswille ist glaub ich nicht der punkt hier, das ist fuer fast afd alle waehler ja ganz simpel migration und kriminalitaet, und da trauen sie den grossen parteien einfach nix mehr zu, da hat die CDU/SPD in ihren 8 jahren und jetzt auch SPD/FDP/Gruene in nun mehr drei jahren ihre Glaubwuerdigkeit, dass sich was aendert halt komplett verloren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Gut ist auf jeden Fall, dass die Ostdeutschen die AFD nicht aus sozialer Benachteiligung wählen, denn die Summen, um den Osten infrastrukturell auf West-Niveau zu bringen, könnte kein Bundeshaushalt aufbringen.

Gründe waren Migration und innere Sicherheit. Das kann man mit gewissen Gesetzen und Investitionen in Polizei schon in den Griff bekommen.

https://www.reddit.com/r/europe/s/NBVyg4O8lE
 
finde den gruenen kann man den gestaltungswillen auch nicht absprechen, unabhaengig davon wie man das jetzt findet von waermepumpen, eautos, solar und wind statt kernenergie und kohle waermedaemmung, biologische tierzucht usw. nur ist bei denen halt alles auf hoehere kosten ausgelegt ...zumindest kurz bis mittelfristig. also nur der reine gestaltungswille ist glaub ich nicht der punkt hier, das ist fuer fast afd alle waehler ja ganz simpel migration und kriminalitaet, und da trauen sie den grossen parteien einfach nix mehr zu, da hat die CDU/SPD in ihren 8 jahren und jetzt auch SPD/FDP/Gruene in nun mehr drei jahren ihre Glaubwuerdigkeit, dass sich was aendert halt komplett verloren.
Finde ich auch. Allerdings sind das Geopolitische Themen, die das große Ganze eher im Blick haben als Politik für ein Kaff in Sachsen. Daher auch das Kläranlagenbeispiel. Das hat viele gute Gründe, aber wenn die Einzelperson das zahlen muss, dann wird das schwer zu vermitteln. Und dann kommst du schnell zu dem Punkt, dass eine AFD „Politik für das Volk“ macht, wenn sie die Gegenposition einnehmen. Sozusagen Akademiker mit dem Versuch nach Weitblick gegenüber „einfachen“ Arbeitern aus einem ostdeutschen Dorf. Und da wäre für mich ein Punkt, wo die Politik versagt, weil sie die positiven Punkten den Menschen in diesen Regionen nicht passend rüberbringen kann, aber auch keine Lösung hat für deren „kleinen“ Problemen wie eine mangelhafte Öffi-Struktur beispielsweise.

In dem Fall könnte man tatsächlich sagen, dass es ein Versagen der aktuellen Politik ist.

Genauso wie ein Versagen einer aktuell nicht gerade kleinen Anzahl an Menschen in Deutschland (nicht nur Thüringen oder Sachsen oder Ostdeutschland) sich weiterzuentwickeln und mit der heutigen globalen Entwicklung mitzuhalten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Naja einer der wenigen nicht vergessenswerten Takes gestern Abend war tatsächlich von diesem Robin Alexander (die sagen ja immer stellvertretender Welt Chefredakteur, ich glaube eher der ist Chefbeisitzer in deutschen Talkshows), dass die AfD ja eigentlich einen Sonderweg in den westeuropäischen Rechten geht, während sone Meloni und Le Pen ihren Blick eigentlich Richtung Mitte richten, weil das Wachstum am extremen Rand begrenzt ist (sieht man ja auch daran, dass die Partei rechts des RN in Frankreich seitdem dieser sich mehr Richtung Mitte/Bürgertum konzentriert ziemlich erfolglos ist), dreht die AfD eigentlich immer weiter an der Radikalisierungsspirale Richtung rechts.
Ich würde davon ausgehen, daß die AfD, nachdem sie die Volkspartei des Ostens geworden ist, Wege finden wird, sich für den Westen moderater zu inszenieren. Nach der nächsten Wahl dann. Und zuvor die Kernthemen (Rassismus) eben über irgendwelche medialen Kampagnen den feinen Wessis in sanfteren Worten näherzubringen versuchen (was mit anti-woke Kram ja schon ganz gut funktioniert), wobei die CDU auch fleißig helfen wird.

also ukraine russland hat wohl keine rolle gespielt, die relevanten themen waren fast ausschliesslich steigende kriminalitaet und zuwanderung.
ausserdem hat fast die haelfte die afd nicht aus ueberzeugung gewaehlt sondern weil sie mit den anderen parteien unzufrieden war.


Anhang anzeigen 149723
Das ist allerdings ein riesiger Anstieg der überzeugten Wähler, von 24% auf 52%, im Vergleich zur letzten Landtagswahl. Die AfD wird im Osten von einer Protestpartei immer mehr zur etablierten Volkspartei. Und dann hilft nur noch die Entzauberung, die aber nicht kommen wird.

told you: ich hab keine ahnung.
Ich verstehe es halt gar nicht.
Ich habe keine Lösung.
Alles wahr :emoji_thumbsup:
 
Gut ist auf jeden Fall, dass die Ostdeutschen die AFD nicht aus sozialer Benachteiligung wählen, denn die Summen, um den Osten infrastrukturell auf West-Niveau zu bringen, könnte kein Bundeshaushalt aufbringen.

Gründe waren Migration und innere Sicherheit. Das kann man mit gewissen Gesetzen und Investitionen in Polizei schon in den Griff bekommen.

https://www.reddit.com/r/europe/s/NBVyg4O8lE
Muß man nur auch zu inszenieren wissen. Die AfD ist ja in erster Linie durch ihr mediales Netzwerk so stark. Ist fraglich, ob die Altparteien da durchdringen, selbst wenn sie plötzlich die richtigen Themen angehen.
 
Meine Hot Takes zur Wahl - basierend auf diversen Podcasts und Artikel über das Thema. Direkten familiären Bezug oder Bekannte habe ich dort nicht.

Wie immer ist der Wahlerfolg der AfD die Summe unterschiedlichster Faktoren:

* Erhöhte Bereitschaft rechte und rechtsextreme Parteien zu wählen. Das Parteiensystem im Osten ist eher mit dem anderer europäischer Länder und nicht mit dem von Westdeutschland zu vergleichen. Die Bindung an die Parteien ist deutlich geringer und die Bereitschaft rechte Parteien zu wählen deutlich erhöhter.
* Unzufriedenheit mit der Ampel.
* Starke Unzufriedenheit durch die 1990er Jahre, die sehr viele Ostdeutsche sehr negativ geprägt haben.
* Ablehnung der Ukrainepolitik.
* Ablehnung der Migrationspolitik.
* Schwindende innere Sicherheit.
* Menschen fühlen sich durch schwindende Infrastruktur und schwindende Bevölkerung abgehängt.
* Effektive Social Media-Kommunikation.

Positiv ist die hohe Wahlbeteiligung in Thüringen, die den Wahlen eine höhere demokratische Legitimität verleiht. Wie man die Stimmen für die AfD reduziert, weiß ich auch nicht. Ich hoffe nur, dass die "Altparteien" eine Lösung im Bereich Migration finden.
 
AfD, nachdem sie die Volkspartei des Ostens geworden ist, schon ganz gut funktioniert), wobei die CDU auch fleißig helfen wird.

Ich liebe es wenn jemand so zitiert und aus dem Zusammenhang reißt. Ein herzhaftes fuck you an dich. Sprech mich im RdW einfach nie mehr an.
 
Ganz interessanter Artikel über die Bedeutung von TikTok für die jüngeren bei ihrer wahlentscheidung und wie die Parteien gegen die afd da abschmieren. SPD macht die meisten Videos aber niemand kriegt die überhaupt nur mit zum Beispiel.

Rechtsextreme in sozialen Medien»Die AfD ist ohne rechte Influencer und Multiplikatoren nicht vorstellbar«​

Eine Studie der Universität Potsdam zeigt: Die AfD ist auf Social Media mit Abstand die erfolgreichste Partei. Der Sozialstrukturforscher Roland Verwiebe sagt, wie das Playbook der Rechten aussieht und warum Olaf Scholz auf TikTok einpacken kann.

Ein Interview von Evelin Ruhnow
03.09.2024, 15.48 Uhr
AfD-Chefin Weidel posiert für ein Selfie: »Das Resultat von zehn Jahren politischer Arbeit auf Social Media«

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AfD-Chefin Weidel posiert für ein Selfie: »Das Resultat von zehn Jahren politischer Arbeit auf Social Media«
Foto: Sebastian Kahnert / dpa-Zentralbild / Picture alliance
Zur Person
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Foto: Sandra Scholz / Universität Potsdam
Prof. Dr. Roland Verwiebe, geboren 1971, leitet seit März 2019 den Lehrstuhl für Sozialstrukturanalyse und soziale Ungleichheit an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam. In seiner Studie »Die AfD dominiert TikTok« analysierte er gemeinsam mit seinen Kollegen die Sichtbarkeit der Parteien in den sozialen Medien.

SPIEGEL: Herr Verwiebe, Ihre Studie belegt, dass die AfD auf TikTok bei Erstwählerinnen und Erstwählern doppelt so erfolgreich ist wie alle anderen Parteien zusammen. Was ist das Erfolgsrezept der Partei?
Verwiebe: Wir sehen hier nicht den Erfolg des Kalenderjahres 2024, sondern das Resultat von zehn Jahren politischer Arbeit auf Social Media. Die AfD, aber auch andere rechtspopulistische Parteien und Gruppierungen Europas, machen das schon sehr lange und sehr erfolgreich. Sie bedienen das Playbook der Social-Media-Plattformen inzwischen virtuos. Speziell in Deutschlandhängen wir ein wenig hinterher, was diese Entwicklung betrifft. Aber die AfD hat die Relevanz von Social Media sehr früh begriffen. Die anderen Parteien und politischen Akteure wachen erst langsam auf. Außerdem haben die AfD und ihre Unterstützer es sehr gut verstanden, die algorithmische Logik von TikTok zu bedienen.

»Es ist schnell, es ist provokativ, es ist einfach zu verstehen.«

SPIEGEL: Wie sieht das Playbook der AfD in den sozialen Medien aus?
Verwiebe: Die AfD ist ohne die rechten Influencer und Multiplikatoren nicht vorstellbar. Der große Erfolg speziell bei jungen Leuten hat auch sehr stark damit zu tun, dass es einen ganzen Ring von Multiplikatoren gibt, die die Verlautbarungen, die Posts, die Videos et cetera von Kandidaten, Kandidatinnen oder der Partei multiplizieren. Das unterscheidet die AfD nach unseren Daten sehr klar von allen anderen Parteien. Außerdem nutzen sie einfache Botschaften, emotionale Texte und erzeugen Spannungsbögen durch Musik – meist aggressive Musik à la Rammstein, Ballermann-Musik oder Après-Ski-Rhythmen. Es ist schnell, es ist provokativ, es ist einfach zu verstehen – und schlichtweg auch Handwerkszeug.

SPIEGEL: In der Jugendwahlstudie von 2024 heißt es, die Gen Z sei nicht nur »orientierungslos, sondern auch emotional aufgeladen«. Ist Emotionalität ein Schlüsselfaktor im Stimmenfang auf TikTok und anderen sozialen Medien?

Verwiebe: Diese Nutzung von emotionalen Botschaften, die Erzeugung von Emotionalität sehen wir als einen Motor, ein bestimmendes Moment, das speziell die AfD zu nutzen weiß. Aber auch das Bündnis Sahra Wagenknecht arbeitet so. Bei den anderen Parteien, den etablierten, eher moderaten Parteien dominiert eine sachliche Art des Informierens, das Ansprechen von wichtigen gesellschaftlichen Themen – und das verfängt nicht beim Algorithmus.


SPIEGEL: Woran machen Sie das fest?
Verwiebe: Wir haben festgestellt, dass vor den Landtagswahlen in den drei Bundesländern, die wir uns angeschaut haben, die AfD am Ende nicht mehr Videos gepostet hat als die anderen Parteien. Die SPD liegt mit deutlich über 200 Videos vorn. Was die Reichweite angeht, spielt sie aber im Grunde keine Rolle.

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SPIEGEL: Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen haben mit 38 Prozent die meisten der Erstwählerinnen und Erstwähler die AfD gewählt. Welchen Einfluss haben soziale Medien mittlerweile auf die Wahlergebnisse?
Verwiebe: Die Unter-24-Jährigen informieren sich politisch zur Hälfte ausschließlich oder überwiegend auf TikTok. Das ist eine ziemlich fette Hausnummer. Diese Generation unterscheidet sich mit Blick auf die politische Sozialisation, die Formierung von politischen Einstellungen fundamental von anderen Generationen und das muss man, glaube ich, zur Kenntnis nehmen.


SPIEGEL: Fokussieren sich die renommierten Parteien hierzulande auf die falschen Verbreitungskanäle?
Verwiebe: Das sieht ein Stück weit so aus. Und die Machart passt nicht. Wenn man mit Leuten aus den Verbänden redet, kriegt man ganz klar auch die Aussage: »Wir wissen, wie die AfD es macht, aber so, wie die ihre Inhalte oder Nicht-Inhalte rüberbringen, wollen wir es nicht machen.« Ich verstehe den Ansatz, aber der Algorithmus greift ihn nicht auf. Damit haben sie keine Reichweite. Ich halte das für einen kritischen Fehler.

SPIEGEL: Können SPD und Co. den Rückstand auf TikTok überhaupt wieder aufholen?

Verwiebe: Ich glaube, dass das möglich ist, aber noch mal: Wir sehen zehn Jahre Arbeit von rechtsorientierten Influencern. Die anderen Parteien bräuchten reichweitenstarke Personen, die kann man nicht aus dem Boden stampfen. Dazu braucht es viel Geld. Sie müssten den Ressourcenansatz, den sie haben, verändern.

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SPIEGEL: Auch der Bundeskanzler Olaf Scholz ist auf TikTok vertreten. Tanzen will er dort nicht, stattdessen soll es um seriöse Inhalte gehen. Kann er damit bei jungen Wählern überhaupt punkten oder ist das zu halbherzig?
Verwiebe: Wenn ich unsere Zahlen nehme, ganz nüchtern, kann er sich das schenken. Der kommt nicht an. Und er kommt zehn Jahre zu spät. So einfach ist es. Er hat seine Hausaufgaben nicht gemacht, die Entwicklung der Zeit nicht erkannt. Das ist ein großes Problem, auch für unser Land. Die Demokratie steht auf der Kippe.

Verwiebe: Es gibt gewaltige Unterschiede im gesamten System. Einerseits haben wir diesen sehr stark ausgeprägten Lagerwahlkampf zwischen Republikanern und Demokraten, andererseits ist der Wahlkampf viel stärker auf Personen zugeschnitten. Barack Obama war 2008 einer der Ersten, der im Wahlkampf gezielt Social Media genutzt hat, um bestimmte Gruppen von Wählerinnen und Wählern zu adressieren. Ohne dieses Vorgehen wäre er nicht Präsident geworden. Sowohl Demokraten als auch Republikaner haben das kopiert.



SPIEGEL: Was können deutsche Politiker und Parteien vom US-Wahlkampf lernen?
Verwiebe: Eine bittere Nachricht wäre: Extrem viel Geld hilft. Aber das ist mit der Parteienfinanzierung in Deutschland aus guten Gründen nicht vereinbar, wie wir wissen. Mit Blick auf unsere Studie würde ich sagen: vernünftig, clever, geschickt die verschiedenen Social-Media-Plattformen bespielen, spezifische Wähler- und Wählerinnengruppen dort abholen, wo sie sind. Der Kanzler sprach mal von einem Kommunikationsproblem. Wir hören jetzt schon seit drei Jahren, dass wir unsere Politik besser verkaufen müssen, über die Tagesschau funktioniert es aber nur noch bedingt.


SPIEGEL: In Ihrer Studie haben Sie auch TikTok-Nutzer aus Brandenburg erfasst. Was ist mit Blick auf die Erkenntnisse Ihre Prognose für die Wahl am 22. September?
Verwiebe: Also, wenn sich das verstetigt, was wir seit der Europawahl sehen, wird es einen erneuten großen Erfolg der populistischen Parteien geben. Das Land wird sich sehr stark verändern, aus meiner Perspektive nicht zum Guten. Es wäre toll, wenn die großen Parteien endlich aufwachen, wenn sie anfangen würden, ihren tendenziell elitären Politikansatz zu verändern. Sie müssen endlich beginnen, auf den Kanälen, die große Reichweite haben, Politik zu machen.
 
Ganz interessanter Artikel über die Bedeutung von TikTok für die jüngeren bei ihrer wahlentscheidung und wie die Parteien gegen die afd da abschmieren. SPD macht die meisten Videos aber niemand kriegt die überhaupt nur mit zum Beispiel.

Rechtsextreme in sozialen Medien»Die AfD ist ohne rechte Influencer und Multiplikatoren nicht vorstellbar«​

Eine Studie der Universität Potsdam zeigt: Die AfD ist auf Social Media mit Abstand die erfolgreichste Partei. Der Sozialstrukturforscher Roland Verwiebe sagt, wie das Playbook der Rechten aussieht und warum Olaf Scholz auf TikTok einpacken kann.

Ein Interview von Evelin Ruhnow
03.09.2024, 15.48 Uhr
AfD-Chefin Weidel posiert für ein Selfie: »Das Resultat von zehn Jahren politischer Arbeit auf Social Media«

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AfD-Chefin Weidel posiert für ein Selfie: »Das Resultat von zehn Jahren politischer Arbeit auf Social Media«
Foto: Sebastian Kahnert / dpa-Zentralbild / Picture alliance
Zur Person
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Foto: Sandra Scholz / Universität Potsdam
Prof. Dr. Roland Verwiebe, geboren 1971, leitet seit März 2019 den Lehrstuhl für Sozialstrukturanalyse und soziale Ungleichheit an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam. In seiner Studie »Die AfD dominiert TikTok« analysierte er gemeinsam mit seinen Kollegen die Sichtbarkeit der Parteien in den sozialen Medien.

SPIEGEL: Herr Verwiebe, Ihre Studie belegt, dass die AfD auf TikTok bei Erstwählerinnen und Erstwählern doppelt so erfolgreich ist wie alle anderen Parteien zusammen. Was ist das Erfolgsrezept der Partei?
Verwiebe: Wir sehen hier nicht den Erfolg des Kalenderjahres 2024, sondern das Resultat von zehn Jahren politischer Arbeit auf Social Media. Die AfD, aber auch andere rechtspopulistische Parteien und Gruppierungen Europas, machen das schon sehr lange und sehr erfolgreich. Sie bedienen das Playbook der Social-Media-Plattformen inzwischen virtuos. Speziell in Deutschlandhängen wir ein wenig hinterher, was diese Entwicklung betrifft. Aber die AfD hat die Relevanz von Social Media sehr früh begriffen. Die anderen Parteien und politischen Akteure wachen erst langsam auf. Außerdem haben die AfD und ihre Unterstützer es sehr gut verstanden, die algorithmische Logik von TikTok zu bedienen.

»Es ist schnell, es ist provokativ, es ist einfach zu verstehen.«

SPIEGEL: Wie sieht das Playbook der AfD in den sozialen Medien aus?
Verwiebe: Die AfD ist ohne die rechten Influencer und Multiplikatoren nicht vorstellbar. Der große Erfolg speziell bei jungen Leuten hat auch sehr stark damit zu tun, dass es einen ganzen Ring von Multiplikatoren gibt, die die Verlautbarungen, die Posts, die Videos et cetera von Kandidaten, Kandidatinnen oder der Partei multiplizieren. Das unterscheidet die AfD nach unseren Daten sehr klar von allen anderen Parteien. Außerdem nutzen sie einfache Botschaften, emotionale Texte und erzeugen Spannungsbögen durch Musik – meist aggressive Musik à la Rammstein, Ballermann-Musik oder Après-Ski-Rhythmen. Es ist schnell, es ist provokativ, es ist einfach zu verstehen – und schlichtweg auch Handwerkszeug.

SPIEGEL: In der Jugendwahlstudie von 2024 heißt es, die Gen Z sei nicht nur »orientierungslos, sondern auch emotional aufgeladen«. Ist Emotionalität ein Schlüsselfaktor im Stimmenfang auf TikTok und anderen sozialen Medien?

Verwiebe: Diese Nutzung von emotionalen Botschaften, die Erzeugung von Emotionalität sehen wir als einen Motor, ein bestimmendes Moment, das speziell die AfD zu nutzen weiß. Aber auch das Bündnis Sahra Wagenknecht arbeitet so. Bei den anderen Parteien, den etablierten, eher moderaten Parteien dominiert eine sachliche Art des Informierens, das Ansprechen von wichtigen gesellschaftlichen Themen – und das verfängt nicht beim Algorithmus.


SPIEGEL: Woran machen Sie das fest?
Verwiebe: Wir haben festgestellt, dass vor den Landtagswahlen in den drei Bundesländern, die wir uns angeschaut haben, die AfD am Ende nicht mehr Videos gepostet hat als die anderen Parteien. Die SPD liegt mit deutlich über 200 Videos vorn. Was die Reichweite angeht, spielt sie aber im Grunde keine Rolle.

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SPIEGEL: Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen haben mit 38 Prozent die meisten der Erstwählerinnen und Erstwähler die AfD gewählt. Welchen Einfluss haben soziale Medien mittlerweile auf die Wahlergebnisse?
Verwiebe: Die Unter-24-Jährigen informieren sich politisch zur Hälfte ausschließlich oder überwiegend auf TikTok. Das ist eine ziemlich fette Hausnummer. Diese Generation unterscheidet sich mit Blick auf die politische Sozialisation, die Formierung von politischen Einstellungen fundamental von anderen Generationen und das muss man, glaube ich, zur Kenntnis nehmen.


SPIEGEL: Fokussieren sich die renommierten Parteien hierzulande auf die falschen Verbreitungskanäle?
Verwiebe: Das sieht ein Stück weit so aus. Und die Machart passt nicht. Wenn man mit Leuten aus den Verbänden redet, kriegt man ganz klar auch die Aussage: »Wir wissen, wie die AfD es macht, aber so, wie die ihre Inhalte oder Nicht-Inhalte rüberbringen, wollen wir es nicht machen.« Ich verstehe den Ansatz, aber der Algorithmus greift ihn nicht auf. Damit haben sie keine Reichweite. Ich halte das für einen kritischen Fehler.

SPIEGEL: Können SPD und Co. den Rückstand auf TikTok überhaupt wieder aufholen?

Verwiebe: Ich glaube, dass das möglich ist, aber noch mal: Wir sehen zehn Jahre Arbeit von rechtsorientierten Influencern. Die anderen Parteien bräuchten reichweitenstarke Personen, die kann man nicht aus dem Boden stampfen. Dazu braucht es viel Geld. Sie müssten den Ressourcenansatz, den sie haben, verändern.

Anhang anzeigen 149882
SPIEGEL: Auch der Bundeskanzler Olaf Scholz ist auf TikTok vertreten. Tanzen will er dort nicht, stattdessen soll es um seriöse Inhalte gehen. Kann er damit bei jungen Wählern überhaupt punkten oder ist das zu halbherzig?
Verwiebe: Wenn ich unsere Zahlen nehme, ganz nüchtern, kann er sich das schenken. Der kommt nicht an. Und er kommt zehn Jahre zu spät. So einfach ist es. Er hat seine Hausaufgaben nicht gemacht, die Entwicklung der Zeit nicht erkannt. Das ist ein großes Problem, auch für unser Land. Die Demokratie steht auf der Kippe.

Verwiebe: Es gibt gewaltige Unterschiede im gesamten System. Einerseits haben wir diesen sehr stark ausgeprägten Lagerwahlkampf zwischen Republikanern und Demokraten, andererseits ist der Wahlkampf viel stärker auf Personen zugeschnitten. Barack Obama war 2008 einer der Ersten, der im Wahlkampf gezielt Social Media genutzt hat, um bestimmte Gruppen von Wählerinnen und Wählern zu adressieren. Ohne dieses Vorgehen wäre er nicht Präsident geworden. Sowohl Demokraten als auch Republikaner haben das kopiert.



SPIEGEL: Was können deutsche Politiker und Parteien vom US-Wahlkampf lernen?
Verwiebe: Eine bittere Nachricht wäre: Extrem viel Geld hilft. Aber das ist mit der Parteienfinanzierung in Deutschland aus guten Gründen nicht vereinbar, wie wir wissen. Mit Blick auf unsere Studie würde ich sagen: vernünftig, clever, geschickt die verschiedenen Social-Media-Plattformen bespielen, spezifische Wähler- und Wählerinnengruppen dort abholen, wo sie sind. Der Kanzler sprach mal von einem Kommunikationsproblem. Wir hören jetzt schon seit drei Jahren, dass wir unsere Politik besser verkaufen müssen, über die Tagesschau funktioniert es aber nur noch bedingt.


SPIEGEL: In Ihrer Studie haben Sie auch TikTok-Nutzer aus Brandenburg erfasst. Was ist mit Blick auf die Erkenntnisse Ihre Prognose für die Wahl am 22. September?
Verwiebe: Also, wenn sich das verstetigt, was wir seit der Europawahl sehen, wird es einen erneuten großen Erfolg der populistischen Parteien geben. Das Land wird sich sehr stark verändern, aus meiner Perspektive nicht zum Guten. Es wäre toll, wenn die großen Parteien endlich aufwachen, wenn sie anfangen würden, ihren tendenziell elitären Politikansatz zu verändern. Sie müssen endlich beginnen, auf den Kanälen, die große Reichweite haben, Politik zu machen.

Ja, und dann gibt es „kultige“ Wahlwerbung wie sowas und der Tiktok Algorithmus spült es durch

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Meine Hot Takes zur Wahl - basierend auf diversen Podcasts und Artikel über das Thema. Direkten familiären Bezug oder Bekannte habe ich dort nicht.

Wie immer ist der Wahlerfolg der AfD die Summe unterschiedlichster Faktoren:

* Erhöhte Bereitschaft rechte und rechtsextreme Parteien zu wählen. Das Parteiensystem im Osten ist eher mit dem anderer europäischer Länder und nicht mit dem von Westdeutschland zu vergleichen. Die Bindung an die Parteien ist deutlich geringer und die Bereitschaft rechte Parteien zu wählen deutlich erhöhter.
* Unzufriedenheit mit der Ampel.
* Starke Unzufriedenheit durch die 1990er Jahre, die sehr viele Ostdeutsche sehr negativ geprägt haben.
* Ablehnung der Ukrainepolitik.
* Ablehnung der Migrationspolitik.
* Schwindende innere Sicherheit.
* Menschen fühlen sich durch schwindende Infrastruktur und schwindende Bevölkerung abgehängt.
* Effektive Social Media-Kommunikation.

Positiv ist die hohe Wahlbeteiligung in Thüringen, die den Wahlen eine höhere demokratische Legitimität verleiht. Wie man die Stimmen für die AfD reduziert, weiß ich auch nicht. Ich hoffe nur, dass die "Altparteien" eine Lösung im Bereich Migration finden.
Ich würde noch hinzufügen, dass die Rechtsradikalisierung im Osten bereits in den 80ern begonnen hat. Auch weil der Umgang mit der NS-Zeit in der DDR etwas anders war als in der BRD.
 
Beim tiktok Argument würde mich interessieren, ob es im Westen ähnlich aussieht.
Würde zumindest vermuten, dass tiktok propaganda da, wo Papa in den 90ern schon mit Basie unterwegs war, schneller verfängt
 
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